Simulationen auf Jülicher Superrechner finden neuen Ansatzpunkt für HIV-Therapien
Simulationen auf Jülicher Superrechner finden neuen Ansatzpunkt für HIV-Therapien
Interview mit Prof. Holger Gohlke
28. Februar 2024
Molekularsimulationen auf dem JUWELS-Supercomputer zeigen, wie das HIV-1-Virus die menschliche Immunabwehr umgeht. Der neu entdeckte Mechanismus könnte sich als Achillesferse des Virus erweisen und neue Türen zu HIV-Therapien öffnen.
HIV-Infektionen und AIDS zählen zu den weltweit häufigsten und bedrohlichsten Infektionskrankheiten. Mittlerweile gibt es zwar hochwirksame Therapien. Doch eine vollständige Heilung oder Impfung, die vor einer Ansteckung schützt, sind bislang nicht möglich.
Die Forschung geht heute davon aus, dass das Virus gleich mehrmals von Schimpansen und Gorillas auf den Menschen übergesprungen ist. Mithilfe von Molekulardynamik-Simulationen auf dem Superrechner JUWELS am Forschungszentrum Jülich konnten Prof. Holger Gohlke vom Forschungszentrum Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Prof. Carsten Münk vom Universitätsklinikum Düsseldorf nun erstmals einen Schritt im Detail nachvollziehen, mit dem sich das Virus an menschliche Zellen angepasst hat.
Herr Prof. Gohlke, was war die Motivation für diese Studie?
HIV-1-Viren sind das evolutionäre Ergebnis seltener erfolgreicher Übertragungen des Affen-Immunschwäche-Virus (SIV) auf den Menschen. Gegen SIV ist der Mensch immun. Wir fragten uns daher, wie es die pandemische Gruppe HIV-M schafft, sich der menschlichen Immunabwehr zu entziehen. Es gibt zudem weitere, nichtpandemische Stämme, die Gruppen HIV-N, -O und -P, die nur sehr wenig verbreitet sind und nur bei einigen wenigen westafrikanischen Infizierten gefunden wurden.
Um die Replikation, also die Vermehrung, von HIV zu stoppen, verwenden Wirbeltiere mehrere zelluläre Restriktionsfaktoren. Es blieb bislang aber unklar, ob das geringe Vorkommen der Nicht-M-HIVs mit der Aktivität dieser antiviralen Faktoren zusammenhängt, ob diese also die Verbreitung unter Menschen einschränken. Hierbei steht insbesondere TRIM5α im Fokus. Das ist ein Protein, das in den Zellen der meisten Primaten vorkommt und gegen verschiedene Infektionen und Retrovieren wirkt.
TRIM5α bindet an das Kapsid, die Verpackung des Virusgenoms. Die Aktivität dieses Proteins ist unter anderem abhängig von Cyclophilin A (CYPA). Das ist ebenfalls ein Protein, das katalytische Eigenschaften aufweist, also in der Lage ist, bestimmte Reaktionen zu beschleunigen oder zu verlangsamen. Den Mechanismus zu verstehen, war eines der Hauptziele dieser Arbeit.
Welche besonderen Herausforderungen waren mit den Molekulardynamiksimulationen verbunden?
Zum Start der Simulationen musste zunächst ein strukturelles Modell des HIV-1-M-Kapsids mit CYPA hergestellt und daraus durch „Mutationen im Computer“ die anderen Komplexe für HIV-N, -O und –P sowie weitere Varianten erzeugt werden. Um einen Einfluss von CYPA auf TRIM5 abzuschätzen, wurden sogenannte biased MD-Simulationen durchgeführt, um die durch CYPA katalysierte Umwandlung im Kapsid nachzustellen. Zudem wurde zum Vergleich die Umwandlung im Kapsid ohne CYPA simuliert.
Insgesamt wurden 16 Systeme simuliert und für jedes System 121 einzelne Schritte. Dies ergab eine hohe Zahl an unabhängige durchzuführenden Simulationen, die zudem noch umfangreich erfolgen mussten, um eine hohe Präzision der Ergebnisse zu erhalten. Dies war notwendig, um detaillierte Einblicke in die subtilen Unterschiede der verschiedenen HIV-Gruppen und die Rolle von CYPA zu bekommen.
Welches Potenzial bietet diese Schwachstelle, die Sie gefunden haben, für die Behandlung von HIV?
Die Ergebnisse unserer Simulationen weisen darauf hin, dass die Geschwindigkeit der von CYPA katalysierten Reaktion eine entscheidende Rolle für den Schutz von HIV-1-M und damit für seine pandemische Eigenschaft spielen kann. Unsere Daten legen nahe, dass CYPA das Kapsid – die Verpackung des Virusgenoms – subtil verändert. Diese induzierten Veränderungen scheinen eine schwerwiegende Auswirkung auf die virale Infektion zu haben. Erst die Bindung von CYPA sorgt also vermutlich dafür, dass das menschliche HIV-1-M-Virus vor dem antiviralen Protein TRIM5α geschützt ist. Die Studie hat somit einen neuen „Schwachpunkt“ von HIV-1 identifiziert und könnte so zu neuen HIV-1 Medikamenten führen, die die Bindung von CYPA an das Virus in der Zelle unterdrücken oder die Aktivität von CYPA modulieren.
Originalpublikation
Augustin P. Twizerimana, Daniel Becker, Shenglin Zhu, Tom Luedde, Holger Gohlke, and Carsten Münk, The cyclophilin A-binding loop of the capsid regulates the human TRIM5α sensitivity of nonpandemic HIV-1. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). 2023, 20, 48. DOI: 10.1073/pnas.2306374120