Extrem belastbar: Hochleistungsfasern an der Grenze des theoretisch Möglichen

Ein neuer Spinn- und Verarbeitungsprozess ermöglicht den Zugang zu hochfesten und hoch belastbaren synthetischen Hochleistungsfasern

Jülich, 13. Dezember 2019 – Wissenschaftler aus Deutschland, China und der Schweiz haben einen Durchbruch bei der Herstellung synthetischer Hochleistungsfasern erzielt. Den Forschern der Universität Bayreuth, der Universität Halle, der RWTH Aachen, des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS), der Jiangxi Normal University, der ETH Zürich und des Forschungszentrums Jülich ist es gelungen, synthetische Hochleistungsfasern herzustellen, deren Festigkeit und Belastbarkeit bisherige Fasern übertreffen.

Die Herstellung gelang durch einen konzertierten Spinn- und Verarbeitungsprozess, bei dem Mikrofaserbündel unter Dehnung im Zustand höchster Orientierung chemisch fixiert werden. Der Prozess konnte am Beispiel von Polyacrylnitrilfasern demonstriert werden und ist auf einen breiten Bereich von Fasermaterialien anwendbar. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachmagazins „Science“ erschienen und eröffnen neue Möglichkeiten für zukünftige Anwendungen von synthetischen Hochleistungsfasern im Energiebereich, z.B. Windenergie, im Leichtbau, in Luft- und Raumfahrt bis hin zu Sport- und Outdoor-Anwendungen.

Bragg-Peaks
Verstreckung einer Polyacrylnitril-Hochleistungsfaser.
Universität Bayreuth / Rennecke

Hochleistungsfasern besitzen außergewöhnliche mechanische Eigenschaften. Es sind Hochleistungswerkstoffe, die aus Metall, Keramik, Carbon und Polymeren hergestellt werden können.  Polymer-Hochleistungsfasern verbinden exzellente mechanische Eigenschaften mit einem sehr geringen Gewicht. So besitzen Kevlar-Fasern eine 6-8-fach höhere Zugfestigkeit im Vergleich zu Stahlfasern, bei nur einem Fünftel deren Gewichts. Polymer-Hochleistungsfasern sind Schlüsselkomponenten in hochfesten und leichten Werkstoffen mit Anwendungen in der Energiebranche und im Leichtbau, zweier großer wichtiger Zukunftsfelder.

Die beiden Schlüsseleigenschaften von Hochleistungsfasern sind hohe Zugfestigkeit und hohe Reißfestigkeit. Hohe Zugfestigkeit kann bei bestimmten Polymermaterialien durch hohe Dehnungen (z.B. bei UHMW-PE/Dyneema) und hohe molekulare Orientierung (z.B. bei Aramid/Kevlar) bei der Faserherstellung erreicht werden. Die Herstellung von Polymerfasern mit hoher Zugfestigkeit und hoher Reißfestigkeit stellt gegenwärtig eine große Herausforderung dar. Eine zu geringe Reißfestigkeit erhöht den Verschleiß, verringert die Lebensdauer und ist eine Schwachstelle im Materialverhalten, welches die Einführung polymere Hochleistungsfasern in breiten Anwendungsfeldern bisher verhindert. Lediglich Spinnenseide erfüllt bisher als ein von der Natur optimiertes Fasermaterial beide Anforderungen an Zug- und Reißfestigkeit.

Hohe Zug- und Reißfestigkeit kann prinzipiell dadurch erreicht werden, dass Primärfasern hochorientiert und parallel angeordnet zu einem Faserbündel gesponnen und im Zustand höchster Orientierung stabil vernetzt werden. Dabei führt der hohe Orientierungsgrad zu einer hohen Zugfestigkeit, und die stabile Querverbindung zu hoher Reißfestigkeit. Technisch konnte dies nun von der Forschergruppe erstmals durch ein innovatives  neues Spinn- und Verarbeitungsverfahren realisiert werden. Dabei werden mittels Elektrospinnen sehr einheitlich orientierte, kristalline Faserbündel hergestellt, die in einem nachfolgenden konzertierten Verarbeitungsprozess bei erhöhter Temperatur zu höchster Orientierung gedehnt und im gedehnten Zustand kovalent verknüpft werden. Dieser Prozess konnte für ein Polyacrylnitril-Copolymer (PAN) demonstriert werden, welches einen kleinen Anteil von vernetzbaren Methylacrylat-Einheiten enthielt. Die kovalente Vernetzung erfolgte mit einem bifunktionellen Polyethlyenglykol-Bisazid in einer [2+3] Azid-Cycloaddition. Auf diese Weise konnten PAN-Fasern mit Zugfestigkeiten von 1240 MPa, einem Zugmodul von 13.5 GPa und einer Reißfestigkeit von 137 J/g hergestellt werden. Für ein neues Fasermaterial wurden damit Zugfestigkeiten im Bereich von Hochleistungsfasern erreicht, bei einem Zugmodul, der nahe am maximalen theoretischen Wert für dieses Material liegt. Zugfestigkeit und Zähigkeit übertreffen die bisheriger Hochleistungsfasermaterialien und liegen über der von Spinnenseide. 0.008 mg dieser Faser können ein Gewicht von 30 g, dem 4-millionenfachen Gewicht anheben. Der Spinn- und Verarbeitungsprozess konnte am Beispiel von eines kommerziellen Fasermaterials, PAN, demonstriert werden und ist auf einen breiten Bereich synthetischer Fasermaterialien anwendbar. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten für ein breites Spektrum zukünftiger Anwendungen im Energiebereich, z.B. der Windenergie, im Leichtbau in Bauindustrie, Automobil, in Luft- und Raumfahrt bis hin zu Sport- und Outdoor- und High-Tech-Textil-Anwendungen.

Bragg-Peaks
Bragg-Peaks einer Polyacrylnitrilfaser direkt nach dem Elektrospinnen (A), nach Verstreckung (B) und nach Vernetzung unter Dehnung (C). Dieser Prozess führt zu einer erheblichen Erhöhung des Orientierungsgrades S.
Forschungszentrum Jülich / Stephan Förster

Originalpublikation:

X. Liao, M. Dulle, J. M. de Souza e Silva, R. B. Wehrspohn, S. Agarwal, S. Förster, H. Hou, P. Smith, A. Greiner, High strength in combination with high toughness in robust and sustainable polymeric materials
Science (13 Dec 2019), DOI: 10.1126/science.aay9033

Weitere Informationen:

Jülich Centre for Neutron Science - Neutronenstreuung und Weiche Materie (JCNS-1/ICS-1)

Pressemitteilung der Universität Bayreuth

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Stephan Förster
Jülich Centre for Neutron Science (JCNS-1)
Tel.: +49 2461 61-85161
E-Mail: s.foerster@fz-juelich.de

Letzte Änderung: 19.05.2022