Wie kommt Glutamat in synaptische Vesikel?

6. Juni 2023

In unserem Gehirn kommunizieren Neuronen miteinander, indem sie Neurotransmitter freisetzen, die dann an ein nachgeschaltetes Neuron binden und dort elektrische Signale auslösen. Die Freisetzung geschieht durch die Fusion von synaptischen Vesikeln, die große Menge von Neurotransmittern enthalten. Wissenschaftlern vom Institut für Molekular- und Zellphysiologie des Forschungszentrums Jülich und von der University of South Florida haben gezeigt, wie der Neurotransmitter Glutamat in synaptischen Vesikeln angereichert wird, und ein mathematisches Modell des synaptischen Vesikels entwickelt, der diese Prozesse beschreibt. Die Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Die besondere Leistungsfähigkeit unseres Gehirns beruht auf der hochfrequenten und schnellen Kommunikation zwischen Neuronen. Synaptische Vesikel müssen dafür dauernd neu generiert werden. Dazu stülpen sich Vesikel aus der Plasmamembran ein, und darin enthaltene Transporter füllen den neu entstandenen Vesikel mit Glutamat. Das Vesikel enthält dabei zunächst die gleiche Salzlösung wie der Extrazellulärraum, mit viel Chlorid (Cl-) und Natrium (Na+). Chlorid-Ionen müssen entfernt werden, um das ebenfalls negativ geladene Glutamat effektiv anzureichern. Diese beiden Aufgaben werden durch ein Protein, den vesikulären Glutamattransporter, erfüllt. Wie das im Einzelnen passiert, wurde von den Jülicher Wissenschaftler:innen mit elektrophysiologischen Verfahren untersucht.

Wie kommt Glutamat in synaptische Vesikel?
Schematische Darstellung der beiden Hauptakteure der Glutamatanreicherung im synaptischen Vesikel, des vesikulären Glutamattransporters VGLUT und der vesikulären Protonenpumpe, und Vorhersagen des Models für die Glutamatanreicherung unter physiologischen zytoplasmatischen Glutamat- und Aspartatkonzentrationen.
Kolen et al.

Wissenschaftliches Ergebnis

Sie konnten zeigen, dass vesikuläre Glutamattransporter nicht nur Glutamat transportieren, sondern eigentlich alle Anionen in ihrem „Chemielager“. Der Glutamattransport unterscheidet sich jedoch durch einen besonderen Mechanismus: Jedes Glutamat-Molekül wird gegen ein Proton ausgetauscht. Dieser Transport ist langsam, er erlaubt jedoch, Glutamat auch gegen seinen Konzentrationsgradienten zu transportieren und so hohe Konzentrationen im synaptische Vesikel zu erzeugen. Aspartat und andere großen Anionen werden langsam, aber ohne Kopplung an den Protonengradienten transportiert. Chlorid-Ionen diffundieren durch eine Ionenpore, mit 300mal schnellerer Geschwindigkeit als Glutamat. Alle Prozesse werden durch den pH-Wert auf einer Membranseite und die Membranspannung reguliert. Sie sind inaktiv unter neutralem pH-Wert und benötigen eine Spannung, um aktiv zu werden.

Der synaptische Vesikel hat nach seiner Bildung zunächst einen neutralen pH-Wert. Das Vesikelinnere wird dann durch eine Protonenpumpe angesäuert und der Transporter dadurch aktiviert. Der Austritt von Cl--Ionen ist viel schneller als andere Transportvorgänge des vesikulären Glutamattransporters, dies lädt den Vesikel elektrisch auf und schafft optimale Bedingungen für den H+-Glutamataustausch. Aus diesem Grunde wird nur Glutamat, aber nicht das sehr ähnliche Aspartat, im Vesikel angereichert. Prof. Ghanim Ullah von der University of South Florida hat dazu ein mathematisches Modell generiert, das alle experimentellen Befunde über die Glutamatanreicherung im synaptischen Vesikel korrekt beschreibt.

Gesellschaftliche und wissenschaftliche Relevanz

Diese Ergebnisse liefern wichtige Einblicke in die molekularen Grundlagen der Gehirnfunktion. Sie könnten helfen, neue therapeutische Konzepte für Krankheiten wie dem Schlaganfall oder bestimmten neurodegenerativen Erkrankungen, in denen erhöhte Glutamat-Konzentrationen zum Untergang von Neuronen führen, zu entwickeln.

Originalpublikation
Kolen B, Borghans B, Kortzak D, Lugo V, Hannack C, Guzman RE, Ullah G, and Fahlke C (2023) Vesicular glutamate transporters are H+-anion exchangers that operate at variable stoichiometry. Nature Communications 14, 2723 DOI: 10.1038/s41467-023-38340-9

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Letzte Änderung: 06.06.2023