Wissenschaftliche Karriere mit Lese-Rechtschreib-Schwäche

Wissenschaftliche Karriere mit Lese-Rechtschreib-Schwäche

Bericht aus der Intern (1/2024) über den Kollegen Michael Butzek (ZEA-1) über seine Karriere in der Wissenschaft – trotz Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS).

Wissenschaftliche Karriere mit Lese-Rechtschreib-Schwäche
Wenn Wörter keinen Sinn ergeben: Für Prof. Michael Butzek (ZEA-1) ist Lesen eine besondere Herausforderung.
FZJ

Wenn Prof. Michael Butzek einen Vortrag hält, fällt sofort auf, wie frei er spricht. Der 57-Jährige klickt sich durch die Folien seiner Power-Point-Präsentation, scheint die Inhalte aber komplett im Kopf zu haben. Das hat einen Grund: Der Teamleiter am ZEA-1 und Professor für Energietechnik an der FH Aachen hat Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. „Ich bin vor allem wahnsinnig langsam“, erzählt er offen. „Ich muss mich stark konzentrieren, um Wort für Wort zu erarbeiten – und daraus den Sinn eines Satzes und am Ende den eines ganzen Textes zu erfassen.“ Auf ein Wort schauen und sofort verstehen, was dort steht? Für ihn kaum möglich. Butzek hat eine Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) – so wie schätzungsweise vier Prozent aller Deutschen. Viele Gedanken hat sich Butzek darüber nie gemacht. „Meine Talente liegen halt woanders. Meine Schwächen habe ich akzeptiert und mich damit im Alltag arrangiert“, sagt der Jülicher Maschinenbau-Ingenieur.

Verständnis statt Förderung

Offiziell auf LRS getestet wurde der 1966 geborene Butzek nie. „Damals war das noch nicht üblich“, sagt er. „Irgendwann war aber einfach klar, dass alle anderen besser lesen und schreiben konnten als ich.“ Jahre später wurde dann bei seinem jüngeren Bruder LRS festgestellt. „Wir hatten großes Glück mit unseren Eltern“, erzählt Butzek. „Wenn ich zum Beispiel bei den Hausaufgaben wütend wurde, hat meine Mutter mich erst mal zum Spielen rausgeschickt. Sie hat uns immer so genommen, wie wir waren.“

Am Gymnasium bemerkten die Lehrkräfte Butzeks Probleme zwar, aber eine besondere Förderung gab es nicht. Heute bekommen Schülerinnen und Schüler mit Einschränkungen einen sogenannten Nachteilsausgleich, dürfen sich zum Beispiel für eine Klausur mehr Zeit nehmen. „Bei mir haben die Lehrer einfach beide Augen zugedrückt“, erinnert sich der Ingenieur. „Die größten Probleme hatte ich mit Deutsch und Fremdsprachen, auch wenn ich dort mit gutem Inhalt punkten konnte.“ Richtig gut war er in Mathe und den Naturwissenschaften, vor allem in Physik. Tatsächlich ist LRS unter Menschen, die im MINT-Bereich arbeiten, überproportional stark vertreten. „Mit Zahlen konnte ich immer besser arbeiten als mit Buchstaben“, erzählt er und lacht: „Mein Physiklehrer hat mir damals sogar eine große Karriere vorhergesagt.“

Technische Helfer

Trotz LRS ist Butzek immer seinen Weg gegangen: „Immer, wenn es schwierig wurde, habe ich für mich Lösungen gefunden.“ Im Maschinenbau-Studium an der RWTH Aachen merkte er etwa, dass er keine Chance hatte, in Vorlesungen schnell genug mitzuschreiben. „Also habe ich meinen Kommilitonen einen Deal vorgeschlagen: Sie haben mitgeschrieben und ich dafür sehr gut zugehört. So konnte ich die größeren Zusammenhänge besser verstehen. Die habe ich den anderen erklärt und mir im Gegenzug ihre Unterlagen kopiert.“

Trotzdem Karriere!

Bislang hatte Butzek seine Lese-Rechtschreib-Schwäche am FZJ nie zum Thema gemacht. „Ich habe meine LRS nicht versteckt, aber für mich war sie auch nie so wichtig, weil ich privat und beruflich gut damit klargekommen bin“, so der Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Seine Arbeit am ZEA-1 mache ihm großen Spaß. „Wenn ich hier fürs Lesen mal wieder etwas länger am Schreibtisch sitze, stört mich das nicht.“ Als Teamleiter punktet er mit anderen Fähigkeiten: den Überblick bewahren und bei größeren Projekten sicher die Fäden in der Hand halten. „Die Menschen um mich herum haben immer auf meine Stärken geguckt.“ Eine Botschaft möchte Butzek anderen betroffenen Mitarbeitenden mitgeben: „LRS muss einen in der wissenschaftlichen Karriere nicht aufhalten!

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Letzte Änderung: 15.04.2024