Neutronen entschlüsseln Wechselspiel zwischen Proteinen und ihrer Wasserhülle

2. August 2012

Proteine sind Bausteine des Lebens. Sie geben tierischem wie pflanzlichem Gewebe Struktur und katalysieren Stoffwechselprozesse im Inneren von Zellen oder in den Zellmembranen. Dabei sind die Eiweißmoleküle stets von einer Wasserschicht umgeben. Den Einfluss dieser „Hydrathülle“ auf die Funktion der Proteine hat ein internationales Forscherteam mit Hilfe von Neutronenexperimenten am Jülicher Zentrum für Forschung mit Neutronen (JCNS) untersucht und dabei bedeutsame Unterschiede bei verschiedenen Typen von Proteinen gefunden. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift „Biophysical Journal“ nachzulesen (DOI: 10.1016/j.bpj.2012.05.027).

fig_JCNS_Weik.jpg
Links das Tau-Protein mit der für ungeordnete Proteine typischen offenen Form, rechts das geordnete Maltose-bindende Protein mit seiner gefalteten Form.
Biophysical Journal, Volume 103, Issue 1, 3 July 2012, Pages 129–136; DOI: 10.1016/j.bpj.2012.05.027

Proteine bestehen aus Ketten von Aminosäuren mit genau festgelegter Reihenfolge. Die meisten Proteine können ihre vorgesehene Funktion nur erfüllen, wenn die Ketten auf die individuell richtige Weise zu knäuelförmigen Strukturen gefaltet sind. Das Tau-Protein hingegen, das die Transportwege in biologischen Zellen stabilisiert, faltet sich nur teilweise und auch nur im Wechselspiel mit seinem vorgesehenen Konterpart, den Mikrotubuli. Damit gehört Tau zu den etwa 30 Prozent der bekannten Proteine in Zellen mit Zellkern, die keine klar definierte dreidimensionale Faltung besitzen. Ungefaltetes Tau-Protein neigt dazu, Ablagerungen zu bilden und Zellen zu zerstören. Man findet solche Ablagerungen bei Demenzkranken, zum Beispiel bei Alzheimer-Patienten.

Über die Art und Weise, wie ordentlich gefaltete Proteine funktionieren, ist bereits viel bekannt. Wasser spielt dabei eine wichtige Rolle, weil es die Bewegungen der Aminosäuren unterstützt und die korrekte Faltung und Funktion ermöglicht. Es bindet über Wasserstoffbrücken an die wasserliebenden Bestandteile der Eiweiße und bildet die so genannte Hydrathülle. Über die Funktionsweise der ungeordneten Proteine ist noch sehr wenig bekannt. Denn die Röntgenkristallographie – die Standardmethode zur Strukturaufklärung von Eiweißmolekülen – funktioniert bei ihnen schlecht und Bewegungen spielen bei ihnen im Vergleich zur Struktur eine weit wichtigere Rolle als bei den geordneten Proteinen.

Erstmals untersuchte nun ein Forscherteam aus Frankreich, den USA, Australien und Deutschland die Beweglichkeit des Tau-Proteins und seiner Hydrathülle stellvertretend für die ungeordneten Proteine und verglich sie mit geordneten Proteinen aus dem Zellplasma und aus der Zellmembran. Neutronenexperimente an einem Spektrometer des JCNS an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) in Garching bei München und an Instrumenten des Institut Lau-Langevin (ILL) im französischen Grenoble machten die Messungen möglich.

„Unsere Experimente zeigen, dass bei den verschiedenen Typen von Proteinen die Rolle der Hydrathülle offensichtlich deutlich variiert “, erläutert Dr. Martin Weik vom Institut de Biologie Structurale in Grenoble. Wie erwartet fanden die Wissenschaftler eine bessere Beweglichkeit beim Tau-Protein als bei den gefalteten Eiweißmolekülen. Dagegen überraschte der Fund, dass das Tau-Protein und seine Hydrathülle sich sehr viel stärker im Gleichklang bewegen als die gefalteten Plasmaproteine und diese wiederum stärker als die Membranproteine.

 „Wir hoffen, dass weitere Untersuchungen langfristig dabei helfen können, Hinweise für die Entwicklung von Medikamenten zu liefern.“, sagt Weik. Da über die Funktionsweise der ungeordneten Proteine bisher so wenig bekannt ist, gibt es bisher noch keine wirkungsvolle Strategie für die Suche nach Angriffsstellen für Wirkstoffe. Die Forscher haben bereits damit begonnen, die pathogene Form des Tau-Proteins mit Neutronen zu analysieren. „Neutronen sind optimal geeignet, um die Funktionsweise der ungeordneten Proteine zu untersuchen, da sie ihre Bewegungen  hochaufgelöst messen können“, sagt Dr. Joachim Wuttke vom Jülicher Zentrum für Forschung mit Neutronen (JCNS) in Garching bei München. Er unterstützt die Forscher bei ihrer Arbeit am Jülicher Instrument.

Durch ein spezielles Verfahren ist es zudem möglich, selektiv nur die Bewegungen der Aminosäuren des Proteins oder der Wassermoleküle in der Hülle zu beobachten. Denn Neutronen detektieren die Wasserstoffmoleküle im Wasser und in den Proteinen. Durch Ersatz von normalem Wasserstoff durch schweren Wasserstoff, der nicht so gut sichtbar ist für die Neutronen, lässt sich entweder das Protein in der Probe oder die umgebende Hydrathülle anfärben.

„Das geht nur mit Neutronen“, erläutert Wuttke.

 

Originalveröffentlichung:

Dynamical Coupling of Intrinsically Disordered Proteins and Their Hydration Water: Comparison with Folded Soluble and Membrane Proteins; Gallat et al.; Biophysical Journal, Volume 103, Issue 1, 3 July 2012, Pages 129–136; DOI: 10.1016/j.bpj.2012.05.027

  

Weitere Informationen:

Jülich Centre for Neutron Science (JCNS): www.fz-juelich.de/jcns/

Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II): www.frm2.tum.de

Institut Laue-Langevin (ILL): www.ill.eu/

Institut de Biologie Structurale: www.ibs.fr

 

Ansprechpartner:

Dr. Joachim Wuttke, Forschungszentrum Jülich, JCNS-Außenstelle am FRM II,
Garching, Tel. 089 289-10715, E-Mail: j.wuttke@fz-juelich.de

Dr. Martin Weik, Structural Protein Dynamics Research Team Institut de Biologie Structurale,
Grenoble, France, Tel: + 33 4 38 78 95 80, E-Mail: weik@ibs.fr

Letzte Änderung: 14.03.2022