Interview: Dr. Jaka Vodeb über mögliche Quantenprozesse bei der Entstehung der Welt

Eine der Schlüsselfragen um die Entstehung des Weltalls ist die nach dem „Zerfall des falschen Vakuums“. Vor etwa 50 Jahren stellte der theoretische Physiker Sydney Coleman die Hypothese auf, dass sich unser Weltall in einem metastabilen Zustand befinden könnte. Das Weltall wirke nur stabil, stehe aber vor dem Übergang in das sogenannte „echte Vakuum“. Mit möglicherweise zerstörerischen Folgen. Andere Theorien gehen wiederum davon aus, dass das falsche Vakuum schon kurz nach dem Urknall den Grundzustand erreicht hat und wir uns bereits im echten Vakuum befinden.

Um diesem, bis heute ungelösten Rätsel auf die Spur zu kommen, hat sich ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Jülich Supercomputing Centres am Forschungszentrums Jülich (JSC), der University of Leeds und des Institute of Science and Technology Austria zusammengetan. Sie analysierten das Verhalten von Teilchen auf kleinsten Skalen mithilfe eines Quantenannealers des kanadischen Unternehmens D-Wave Systems, Inc. Indem sie das falsche Vakuum simulierten, konnten sie es genau untersuchen. Die Ergebnisse ihres dazugehörigen Papers wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht.

Im Interview erläutert Erstautor Dr. Jaka Vodeb (JSC) die gewonnenen Erkenntnisse und ordnet ein, inwiefern sie uns dabei helfen, der Lösung des Rätsels von der Entstehung des Universums ein wenig näherzukommen.

Interview: Dr. Jaka Vodeb über mögliche Quantenprozesse bei der Entstehung der Welt
Künstlerische Darstellung echter Vakuumblasen, die im Hintergrund des falschen Vakuums auf einem Quantengerät erscheinen.
Professor Zlatko Papic (Bild mit Povray erstellt)

Die Entstehung des Universums, der sogenannte „Urknall“, war schon immer Gegenstand der Forschung. Diese Frage ist wissenschaftlicher und religiöser Natur, ein Rätsel, dass die Menschheit von jeher fasziniert. Lüften Ihre Erkenntnisse tatsächlich die Geheimnisse um den Ursprung der Welt?

Unsere Erkenntnisse ermöglichen ein tieferes Verständnis der Quantenprozesse, die kurz nach dem Urknall stattgefunden haben könnten. Indem wir den Zerfall des falschen Vakuums auf einem Quantenannealer simuliert haben, haben wir ein Phänomen modelliert, das als ein Schlüsselaspekt der Dynamik des frühen Universums gilt.

In Ihrem Artikel beziehen Sie sich auf das sogenannte „falsche Vakuum“. Was ist der Unterschied zwischen einem „echten“ und einem „falschen“ Vakuum?

Ein echtes Vakuum stellt den Zustand der niedrigstmöglichen Energie in einem System dar, in dem alles stabil ist und sich im Gleichgewicht befindet. Ein falsches Vakuum hingegen ist ein metastabiler Zustand – ein Zustand, der stabil erscheint, aber durch Quantentunnel oder andere Prozesse in das echte Vakuum zerfallen kann. Dieser Zerfall beinhaltet die Bildung von „Blasen“ des echten Vakuums, die wachsen und das falsche Vakuum verbrauchen.

Es gibt eine passende Analogie dazu, bei der die Temperatur die Rolle der Quanteneffekte übernimmt: unterkühltes Wasser, das sofort gefriert, wenn man auf die Flasche schlägt, in der es sich befindet – dieses einfache Beispiel kann jeder auf YouTube finden. Das unterkühlte Wasser ist das falsche Vakuum und das Eis ist das echte Vakuum. Die Quantenversion dieses Phänomens haben wir auf dem Quantencomputer untersucht.

In welcher Weise genau hängt der Prozess des „falschen Vakuumzerfalls“ mit der Entstehung des Universums zusammen?

Es wird angenommen, dass der Zerfall des falschen Vakuums im frühen Universum – kurz nach dem Urknall – eine Rolle gespielt hat. Als sich das Universum ausdehnte und abkühlte, könnte es sich in einen metastabilen Zustand des falschen Vakuums begeben haben, in dem alle uns bekannten Elementarteilchen – Elektronen, Quarks, etc. – unterschiedliche Eigenschaften hatten, etwa ihre Masse oder ihre Wechselwirkung.

In dieser Version des Universums wären die Atome, aus denen wir alle bestehen, gegebenenfalls nicht möglich gewesen. Im Laufe der Zeit könnten sich Regionen mit echtem Vakuum gebildet und vergrößert haben, was einen Phasenübergang auslöste, der die Struktur des Universums und die es beherrschenden Kräfte beeinflusste. Andererseits könnten wir immer noch in einem falschen Vakuum leben, in dem die Atome, aus denen wir bestehen, möglich sind, und es könnte passieren, dass das Universum immer noch in eine andere Version von sich selbst übergeht – und zwar in das echte Vakuum, in dem unsere Existenz nicht möglich ist. Die Untersuchung solcher Prozesse ist der Schlüssel zum Verständnis, ob und wie dies geschehen könnte.

Das klingt so als müssten wir unsere eigene Existenz anzweifeln oder vielmehr um sie bangen. Angenommen, das wäre tatsächlich der Fall, wie lange würde ein solcher Übergang Ihrer Meinung nach dauern? Geht es um Jahre, Jahrhunderte oder Jahrtausende?

Die Zeiträume sind außerordentlich lang. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass so etwas zu unseren Lebzeiten geschieht. Es ist in etwa so, als würde man sich heute darüber Sorgen machen, dass unsere Sonne in einigen Milliarden Jahren die Erde verschlingen wird. So dramatisch es klingt, besteht für uns kein Grund zur Sorge. Davon abgesehen ist es möglich, dass ein Zerfall des falschen Vakuums bereits im frühen Universum stattgefunden hat, was bedeutet, dass wir uns bereits in einem stabilen Vakuumzustand befinden.

Bleiben wir mal bei diesem Gedankenspiel. Wie würde das rein theoretisch aussehen? Würden sich unser Planet und alles, was sich darauf befindet, allmählich in Luft auflösen? Oder wäre es eher ein Knall, wie ein zweiter Urknall, mit dem Effekt, dass alles Leben plötzlich verschwinden würde? Können wir das überhaupt beurteilen?

Rein theoretisch würde es wohl ziemlich beängstigend aussehen. Schon in den 1980er Jahren gab es die Theorie, dass jemand, der sozusagen von außen draufschaut, ein Schwarzes Loch wahrnehmen würde, das sich mit Lichtgeschwindigkeit aufbläht. Tröstlich wäre immerhin, dass der „Verbrauch“ der Erde so schnell vonstattengehen würde, dass wir es kaum bemerken würden. Ein drohendes Schwarzes Loch zu entdecken, dass sich auf uns zubewegt, möchte sich wohl dennoch niemand vorstellen. Zum Glück haben wir kein solches Schwarzes Loch beobachtet – bisher.

Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, dass sich im Hintergrund des falschen Vakuums sogenannte „Blasen“ des echten Vakuums bilden und miteinander interagieren? Oder anders ausgedrückt: Glauben Sie, dass eine einzige riesige Blase irgendwann alles zerstören wird?

Die Bildung einer einzigen riesigen Blase ist theoretisch möglich, aber die Wahrscheinlichkeit ist äußerst gering. Die Quantenmechanik sagt voraus, dass jeder Übergang von einem falschen Vakuum zu einem echten Vakuum mit kleinen, lokalisierten Blasen beginnen würde, die bestimmte Bedingungen benötigen, um zu wachsen und zu interagieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches katastrophales Ereignis eintritt, ist so gering, dass es rein hypothetisch bleibt.

Was spricht dafür, dass das falsche Vakuum kurz nach dem Urknall seinen Grundzustand erreicht und wir uns bereits in einem echten Vakuum befinden – so gesehen also in Sicherheit?

Wenn man sich das beste Modell des Universums ansieht, das wir bisher haben – das Standardmodell –, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Teilchenmassen beobachten, die bereits das echte Vakuum darstellen.

Interview: Dr. Jaka Vodeb über mögliche Quantenprozesse bei der Entstehung der Welt
Alle Berechnungen wurden mit dem Quantenannealer der Firma D-Wave durchgeführt, der am JSC in die JUelicher Nutzerinfrastruktur für Quantencomputing, JUNIQ, eingebunden ist.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Die Berechnungen wurden am Jülich Supercomputing Centre mit einem Quantenannealer durchgeführt, der mit einem klassischen Supercomputer verbunden ist. Warum war die Kombination dieser beiden sehr unterschiedlichen Computertypen so wertvoll und wie haben die Experimente konkret davon profitiert?

Der Quantenannealer ist hervorragend für die Simulation von Quantensystemen mit vielen wechselwirkenden Qubits geeignet und ermöglicht es uns, quantenmechanische Dynamiken zu untersuchen. Um die Ergebnisse zu interpretieren und die Beobachtungen zu validieren sind jedoch klassische Supercomputer erforderlich. Sie bieten die Rechenleistung für numerische Simulationen, die zum Verständnis der vom Annealer erzeugten Daten beitragen. Dieser hybride Ansatz kombiniert die Stärken beider Technologien, um Erkenntnisse zu gewinnen, die mit keiner der beiden Technologien allein möglich wären. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass die hybrid durchgeführten Experimente vom Zugang zu den Supercomputern des JSC und dem D-Wave-Quanten-Annealer profitieren, welcher in der Quantencomputer-Einrichtung des JSC, JUNIQ, untergebracht ist.

Wie funktioniert das genau: Sehen wir die Ereignisse des Universums so, wie sie tatsächlich stattgefunden haben könnten – und mit Hilfe des Quantenannealers wie durch eine Zeitrafferkamera?

In gewisser Weise ja. Der Quantenannealer ermöglicht es uns, die Dynamik des Zerfalls des falschen Vakuums zu simulieren, wie sie im frühen Universum stattgefunden haben könnte. Es handelt sich zwar nicht um einen echten Zeitraffer, aber durch den Annealer können wir Schlüsselaspekte des Prozesses, wie Blasenbildung und Interaktionen, beobachten. Auf diese Weise erhalten wir gewissermaßen Momentaufnahmen dessen, was sich während dieser kritischen Phase der kosmologischen Evolution abgespielt haben könnte.

Sie haben den metastabilen Zustand des falschen Vakuums mit einem D-Wave Quantenannealer erzeugt. Was haben Sie beobachtet, wie haben sich die Blasen verhalten und interagiert – und noch wichtiger, welche Schlussfolgerungen haben Sie daraus gezogen?

Wir beobachteten, dass sich Blasen des echten Vakuums innerhalb des falschen Vakuums bildeten, wobei ihre Größe durch den Energieunterschied zwischen dem echten und dem falschen Vakuumzustand bestimmt wurde. Die Blasen interagierten auf komplexe Weise, wobei die kleinsten frei im System herumliefen und aneinander stießen, während die größeren Blasen nur wachsen konnten, indem sie mit einem Nachbarn interagierten und ihn dabei schrumpfen ließen. Die Schlussfolgerung war, dass die Interaktion zwischen den Blasen der Schlüssel zu ihrem Wachstum ist, ohne sie sind sie im Raum eingefroren. Dies wurde noch nie zuvor beobachtet.

Inwiefern sind die Ergebnisse ein Meilenstein in der Erforschung des Universums?

Diese Ergebnisse stellen einen bedeutenden Meilenstein für das Verständnis von Quantenphänomenen dar, die mit dem frühen Universum zusammenhängen. Zum ersten Mal haben wir einen Quantenannealer dafür verwendet, die Dynamik des Zerfalls des falschen Vakuums zu beobachten. Damit konnten wir die praktische Anwendbarkeit des Quantencomputings auf kosmologische Probleme demonstrieren.

Für welche anderen Forschungsbereiche sind diese Ergebnisse relevant?

Die Ergebnisse sind nicht nur für die Kosmologie relevant, sondern auch für die Physik der kondensierten Materie, die Quantenfeldtheorie und die Materialwissenschaften. Sie eröffnen neue Möglichkeiten, um Phasenübergänge, metastabile Zustände und energieeffiziente Quantenbauelemente zu untersuchen. Zudem könnte diese Forschung die Entwicklung von Quantentechnologien beeinflussen und uns bei der Lösung von Problemen in der Kryptographie, Optimierung und darüber hinaus helfen.

Ihre Forschung und das im Nature Magazin veröffentlichte Paper ist Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen dem JSC am Forschungszentrum Jülich, der University of Leeds und dem Institute of Science and Technology Austria (ISTA). Welche der Institutionen übernahm dabei welche Aufgabe?

In Jülich konzentrierten wir uns auf die Konfiguration und Durchführung der Experimente auf dem D-Wave-Quantenannealer und nutzten seine einzigartigen Fähigkeiten, um die Dynamik des falschen Vakuums zu simulieren. ISTA brachte sein Fachwissen in der theoretischen Quantenphysik ein und half bei der Analyse der grundlegenden Mechanismen hinter dem Vakuumzerfall und den Blasenwechselwirkungen. Die University of Leeds stellte fortschrittliche numerische Emulationstechniken zur Verfügung, um die Ergebnisse des Quantenannealers mit klassischen Simulationen zu vergleichen und so ein solides Verständnis der beobachteten Phänomene zu gewährleisten.

Gemeinsam waren Sie sehr erfolgreich. Wird die Zusammenarbeit fortgeführt?

Interview: Dr. Jaka Vodeb über mögliche Quantenprozesse bei der Entstehung der Welt
Dr. Jaka Vodeb (JSC)

Auf jeden Fall. Die gemeinsame Forschung war sehr spannend, da verschiedene Fachgebiete zusammenkamen und Erkenntnisse gebracht hat, die wir alleine nicht hätten gewinnen können. Mir persönlich hat besonders gut gefallen, dass der Annealer der Auslöser für unsere Forschungen war. Wären wir nicht zufällig über quantisierte Blasen des echten Vakuums gestolpert, hätten wir in diese Richtung gar nichts unternommen. Das ist auch der Hauptgrund, warum wir bereits an der zweidimensionalen Version des Zerfalls des falschen Vakuums arbeiten. Und wir haben bereits einige sehr interessante Ergebnisse.

Über D-Wave

D-Wave ist ein Unternehmen, das Pionierarbeit im Bereich Quantencomputer leistet und sich auf Quantenannealer spezialisiert hat – Geräte, die Optimierungsprobleme lösen und Quantensysteme effizient simulieren sollen. Ihre Systeme nutzen Tausende supraleitende Qubits, die in einem hochgradig vernetzten Gitter angeordnet sind und die Untersuchung komplexer Quantenphänomene ermöglichen.

Über JUNIQ

JUNIQ – Jülich Unified Infrastructure for Quantum Computing – ist eine hochmoderne Forschungsplattform am JSC, Forschungszentrum Jülich, die Quantenhardware, wie die Quantenannealer von D-Wave, mit klassischen Hochleistungs-Computing-Ressourcen integriert. Diese Kombination bietet Forschenden eine leistungsstarke Infrastruktur, um rechenintensive Probleme zu bewältigen, die von der Materialwissenschaft bis zur Kosmologie reichen, und die Grenzen der Quantenforschung zu erweitern.

Weitere Informationen

Originalpublikation:

Vodeb, J., Desaules, JY., Hallam, A. et al. Stirring the false vacuum via interacting quantized bubbles on a 5,564-qubit quantum annealer. Nat. Phys. (2025). https://doi.org/10.1038/s41567-024-02765-w

Siehe auch die entsprechende FZJ News  sowie die Pressemitteilung der University of Leeds:  Quantum machine offers peek into “dance” of cosmic bubbles

Weitere Informationen zu JUNIQ finden Sie unter: JUNIQ-Infrastruktur


Kontakt: Jaka Vodeb (JSC), Prof. Dr. Kristel Michielsen (JSC)

Letzte Änderung: 22.04.2025