Virtuelles Modell des alternden Gehirns auf EBRAINS simuliert, wie unsere Kognition im Alter abnimmt

Schaubild des verwendeten Simulationsprozesses

Eine kürzlich durchgeführte Studie, die durch die EBRAINS-Forschungsinfrastruktur ermöglicht wurde, hat Licht in die komplizierte Beziehung zwischen gesundem Altern des Gehirns und kognitivem Abbau gebracht.

Forscher der Universität Aix-Marseille, des Forschungszentrums Jülich und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf verwendeten ein virtuelles Modell des alternden Gehirns und konnten altersbedingte funktionelle Veränderungen nachbilden. Die Ergebnisse wurden in NeuroImage veröffentlicht.

Die Mechanismen des kognitiven Abbaus und die individuellen Unterschiede sind noch nicht vollständig geklärt, werden aber mit Veränderungen der Bahnen der weißen Substanz und der Reorganisation der funktionellen Netzwerke des Gehirns in Verbindung gebracht.

Mit zunehmendem Alter verändert sich unsere Gehirnstruktur, was funktionelle Folgen hat. Die Folgen einer bestimmten strukturellen Veränderung können jedoch von Person zu Person unterschiedlich sein. Aufgrund dieses Phänomens können ältere Erwachsene in unterschiedlichem Maße an kognitivem Abbau leiden, selbst wenn sie ein ähnliches Ausmaß an Hirnatrophie aufweisen. Um die Beziehung zwischen Gehirnstruktur und -funktion während des Alterns besser zu verstehen, haben sich zahlreiche Forschungsarbeiten auf altersbedingte Veränderungen in der Interaktion bestimmter Gehirnregionen oder kognitiver Gehirnnetzwerke konzentriert.

Nun hat das Team aus Deutschland und Frankreich virtuelle Hirnmodelle verwendet, um den kausalen Zusammenhang zwischen der Degeneration der weißen Substanz und den funktionellen Veränderungen zu untersuchen, mit dem Ziel, besser zu verstehen, wie strukturelle Veränderungen mit der interindividuellen Variabilität des kognitiven Abbaus zusammenhängen. Die Technologie des virtuellen Gehirns ermöglicht es, die Hirnaktivität einer Person auf der Grundlage ihrer eigenen bildgebenden Hirndaten zu simulieren.

Die Forscher nutzten einen großen Datensatz aus der bevölkerungsbezogenen Kohortenstudie "1000BRAINS", die am Forschungszentrum Jülich durchgeführt wurde. Die Studie umfasst mehr als 1.000 Teilnehmer im Alter von 55 bis 85 Jahren, die mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) untersucht wurden, wodurch eine noch nie dagewesene Menge an Daten zur strukturellen und funktionellen Konnektivität des Gehirns gewonnen wurde. Durch die systematische Analyse dieser Daten konnten die Forscher spezifische strukturelle Veränderungen identifizieren, die mit dem Altern einhergehen.

Auf der Grundlage des detaillierten Datensatzes über die strukturelle Variabilität erstellten die Forscher dann virtuelle Gehirnmodelle, um die funktionellen Folgen der mit dem Altern verbundenen strukturellen Veränderungen zu simulieren. Ihre Arbeit wurde durch eine Verbindung zwischen dem Multilevel Human Brain Atlas und dem Simulator The Virtual Brain (TVB) ermöglicht, die beide auf EBRAINS frei zugänglich sind.

Im Virtual Brain Aging-Modell wurden spezifische strukturelle Veränderungen, nämlich der Abbau zwischen den Gehirnhälften, eingeführt und anschließend die Gehirnaktivität simuliert. Bei der Analyse der Muster der Hirnaktivität beobachteten sie dieselben funktionellen Veränderungen, die sie im Laufe des Alterungsprozesses in den empirischen Daten der Teilnehmer der 1000BRAINS-Studie gefunden hatten. Insbesondere waren sie in der Lage, in silico die globalere Integration funktioneller Gehirnnetzwerke während des Alterns zu reproduzieren, ein Prozess, der als "functional dedifferentiation" bezeichnet wird.

Als Reaktion auf den Rückgang der interhemisphärischen Faserbahnen sagte das Modell eine Verschiebung des optimalen Arbeitspunkts des Gesamtsystems Gehirn hin zu höheren Werten voraus, d. h. zu mehr Netzwerkinteraktion. Diese Verschiebung des optimalen Arbeitspunkts hing mit dem kognitiven Rückgang der Probanden zusammen, was die Hypothese stützt, dass diese spezifische strukturelle Degeneration tatsächlich kausal mit dem kognitiven Rückgang verbunden war - zumindest auf Gruppenebene.

Um zu verstehen, ob dieser Effekt auch auf individueller Ebene zu beobachten ist, erstellten die Forscher eine ganze Kohorte virtueller Gehirne, die jeweils auf den Daten eines einzigen Probanden der 1000BRAINS-Studie basieren. Sie fanden heraus, dass die individuellen strukturellen Veränderungen zu den angenommenen funktionellen Auswirkungen bei jedem Einzelnen führten, was die Vorhersagen auf Gruppenebene bestätigte und auf die individuelle Ebene ausweitete. Sie sagten aber auch korrekt voraus, dass der funktionelle Rückgang bei einigen Personen stärker ausgeprägt war als bei anderen, obwohl die strukturellen Veränderungen gleich groß waren.

Durch die Manipulation der Hirnstruktur im Computer konnten die Forscher den empirisch beobachteten Verlauf des Rückgangs der weißen Substanz in silico nachbilden und dieselben Trends für die Altersverläufe sowie für die simulierte Alterskohorte feststellen.

Diese Ergebnisse könnten der erste mechanistische Beweis für die Dedifferenzierungshypothese sein, die besagt, dass ein Abbau der spezifischen Architektur funktioneller Hirnnetzwerke und ihrer weitreichenderen Verknüpfung im gesamten Gehirn während des Alterns zum kognitiven Verfall beiträgt.

Diese Studie zeigt die ersten Ergebnisse von virtuellen Alterungsmodellen, die auf empirischen Bildgebungs- und kognitiven Daten einer großen bevölkerungsbasierten Stichprobe älterer Erwachsener basieren. Die Virtual Aging Brain Pipeline kann über EBRAINS genutzt werden.

The virtual aging brain: Causal inference supports interhemispheric dedifferentiation in healthy aging

Letzte Änderung: 05.12.2023