14. März 2025

Der Kill Switch: Die Lizenz zum Abschalten

Ca. 2km² Fläche, über 150 Gebäude, davon mittlerweile 15 mit zahlreichen Sensoren und Aktoren ausgestattet – unser Campus wird als Living Lab Energy Campus zum Experimentierfeld für die Energieforschung. Forscher des ICE-1 testen hier u.a. die energetischen Einsparpotenziale durch den Einsatz modellprädiktiver Algorithmen und Gamification-Ansätze. Was für sie eine “Spielwiese” ist, bleibt für andere ihr ganz normaler, vom LLEC unabhängiger Arbeitsplatz – und für unsere Betriebsabteilung bleibt es die Aufgabe, einen sicheren Betrieb zu garantieren. Was passiert also, wenn während der Experimente eine Störung eintritt, die unmittelbar behoben werden muss? Unsere Antwort darauf ist der sogenannte “Kill Switch”. Das klingt martialisch, versöhnt aber die unterschiedlichen Anforderungen von Wissenschaft und Infrastruktur.

Hintergrund

Im Rahmen des Living Lab Energy Campus (LLEC) werden innovative Monitoring- und Regelungsmethoden erprobt. Dabei werden die von der Forschung (FZJ ICE-1 / Energiesystemtechnik) entwickelten Methoden in der FZJ-eigenen JuCloud, ausgeführt. Über ein sogenanntes „Cloud-Gateway“, ab hier Beckhoff-SPS oder SPS genannt, können Daten aus dem Gebäude ausgelesen bzw. Stellwert-Vorgaben aus der Cloud gemacht werden. Die Beckhoff-SPS stellt die Verbindung zwischen lokalen Gebäudeautomation und der Cloud dar. Die Anlage ist so konzipiert, dass eine Einflussnahme über die Cloud möglich ist, um die von der Forschung entwickelten Methoden zu testen – ohne vorher Änderungen in der Geräteparametrierung der Anlage vorzunehmen. Die Gebäudeautomation besteht aus handelsüblichen Komponenten und ist von der Programmierung so konstruiert, dass die Vorgabe von Stellwerten aus der Cloud ohne weitere Umprogrammierung einzelner Geräte möglich ist. Der Wechsel in den Forschungsmodus kann also „on-the-fly“ passieren. Um diese Möglichkeit möglichst effizient und einfach zu implementieren, arbeiten wir u.a. mit der Firma MDT Technologies GmbH aus Engelskirchen zusammen. 

Wissenschaftler, die „mal eben“ Teile der ganz normalen Infrastruktur eines Campus übernehmen wollen, treffen bei einer Betriebsabteilung verständlicherweise nicht auf Begeisterung. Denn ganz grundsätzlich lebt die Wissenschaft von Versuch und Irrtum, während ein Betreiberteam die klare Aufgabe hat, einen sicheren Betrieb – ohne allzu große Irrtümer – zu gewährleisten. Aber auch im Konkreten bestehen hier potenzielle Reibungspunkte, wenn etwa die Experten z.B. aufgrund einer Konferenzreise oder auch nur der wohlverdienten Nachtruhe wegen nicht vor Ort sein können, muss der sichere Betrieb auf dem Gelände garantiert sein. Das Team der Betriebsabteilung muss also immer eigenständig handeln können. Doch wie soll das gehen, ohne dass sie den Wissensstand der Forscher jederzeit in Echtzeit nachhalten – zumal diese ja selbst am Experiment lernen wollen? Hier kommt der „Kill Switch“ ins Spiel, der maßgeblich durch Sebastian Neitzel vom Team „Intelligent Camus“ (TB-X) sowie Florian Redder und Philipp Althaus vom ICE-1 entwickelt und implementiert wurde. 

Was ist ein Kill Switch?  

Der Kill Switch ist ein System aus Hard- und Software, das im Rahmen des LLEC zur Sicherstellung des Betriebs von Gebäuden eingesetzt wird. 

Die Kill-Switch-Automatik besteht aus speziell für den Gebäude-Kill-Switch entwickelten Logiken Logik-Editor der Firma BAB-Technologie GmbH, die den Schlüsselschalterstatus und die Funktionsfähigkeit des Cloud-Gateway ständig überwachen. Wird hier eine Unregelmäßigkeit erkannt oder der sichere Modus durch Betätigen des Schlüsselschalters erzwungen, wird die Anlage in einen sicheren Basis-Modus versetzt. 

Der Schlüsselschalterstatus bzw. eine erkannte Störung der Beckhoff SPS kann an beliebige E-Mail-Adressen zur weiteren Bearbeitung automatisch gemeldet werden. 

Das Kill-Switch-System ermöglicht es den Wissenschaftlern, ihre Forschungsarbeiten unter unbeschränkten Bedingungen durchzuführen. Das Kill Switch hat zwei verschiedene Modi: 

  • Basisbetriebsmodus: In diesem Modus können zwar Informationen über die Beckhoff-SPS mitgelesen werden, es werden jedoch von der Beckhoff-SPS keine Stellwert-Vorgaben bzw. Telegramme auf den KNX-Bus geschrieben. (Read-Only-Modus) 
  • Forschungsmodus: In diesem Modus können zusätzlich zum reinen Lesen von Daten, aktiv Telegramme auf den KNX-Bus gesendet werden, z.B. das Setzen von Sperren zur Übernahme der Heizungsregler-Funktion, die Änderung eines vom Nutzer eingestellten Temperatur-Soll-Wertes oder das aktive Abfragen von Größen oder Schaltzuständen 

Bei gravierenden Betriebsstörungen im Forschungsbetrieb, kann das zuständige Betriebspersonal über den in jedem Gebäude verbauten Kill-Switch-Schlüsselschalter manuell den „sicheren“ Basisbetrieb erzwingen. Auf diese Weise werden im Störungsfall zumindest Probleme, die durch den Forschungsbetrieb verursacht werden, abgeschaltet und damit als Fehlerquelle ausgeschlossen. Denn bei aller Automatisierung: In manchen Situationen braucht es jemanden, der selbst Hand anlegt und die „Lizenz zum Abschalten“ hat.  

Fazit und Ausblick 

Durch die Kombination aus moderner Technologie, manuellen Sicherheitsmechanismen und automatisierten Überwachungsprozessen sorgt das Kill-Switch-Prinzip für einen sicheren und flexiblen Betrieb erfüllt und gleichzeitig Raum für wissenschaftliche Arbeiten lässt. Das Kill-Switch-System stellt deshalb eine wertvolle Change-Management-Lösung für das LLEC dar, da im Reallabor sowohl innovative, experimentelle Regelungsansätze getestet werden als auch die Sicherheit und der kontinuierliche Betrieb der Gebäude gewährleistet werden müssen.  

Angesichts der gelungenen Umsetzung im Reallabor des Forschungszentrums Jülich existieren nun Erfahrungswerte, von denen anderen Forschungszentren innerhalb und außerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft, profitieren können. Im Rahmen des Helmholtz Kompetenznetzwerks für klimagerechtes Bauen (HKB) werden wir im Herbst 2025 in einer Schulungsveranstaltung detailliert darstellen, welche Schritte notwendig sind, um die Potenziale der Gebäudeautomation in Kombination mit modellprädiktiven Regelungsalgorithmen voll auszuschöpfen. Ein Kill-Switch-System als eine Art Sicherheitsnetz gehört für uns definitiv dazu! 

Stichwörter: IKT-PlattformModellprädiktive RegelungRaumregelungSensornetzwerkSoftware
Letzte Änderung: 16.03.2025