Die bunte Vielfalt eines Quantenphysikers

Dreifacher Vater, Quantenphysiker, Ornithologe und engagierter Open-Science-Verfechter: Das Leben von Vincent Mourik ist bunt.

9. März 2023

Erst neulich hat Vincent Mourik wieder ein interessantes Gespräch über Quantenphysik geführt – mit einer Tänzerin: Zugegeben, es ging weniger um die Wechselwirkung von kleinsten Teilchen, sondern mehr um die Abstraktheit der Konzepte: „Genau das hat die Künstlerin, die sich auf modernen Tanz spezialisiert hat, und mich, den Physiker, verbunden: die Abstraktheit als gemeinsame Ebene“, erklärt der Niederländer, den die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und Künste im vergangenen Dezember als Stipendiaten in ihr Junges Kolleg aufgenommen hat. Seit Ende 2021 arbeitet der 36-Jährige am JARA-Institut für Quanteninformation im Forschungszentrum Jülich und baut eine Nachwuchsgruppe auf sowie sein Solid State Quantum Devices Laboratory (SQUAD), das auf dem Gelände der RWTH Aachen liegt.

Vincent Mourik Porträt
Abstraktes und Greifbares, Mikro- und Makrokosmos – im Leben des vielseitig interessierten Vincent Mourik findet das alles locker Platz.

Australien und Vögel

An diesem Tag jedoch ist der Mann mit dem markanten roten Vollbart weder in Jülich noch in Aachen anzutreffen, sondern in seinem Häuschen in der niederländischen Provinz Limburg, wo er mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt. Im Hintergrund lärmen ein paar Wellensittiche: „Sie helfen gegen unser Heimweh“, erzählt der Forscher und lacht, denn von 2016 bis 2021 hat er in Sydney als Postdoktorand an der University of New South Wales geforscht. „Es gab wirklich viele gute Gründe nach Deutschland und Europa zurückzukehren, das Wetter gehört definitiv nicht dazu. In Australien mussten wir uns nie Gedanken um die Kleidung der Kinder machen“, berichtet Mourik mit einem Augenzwinkern.

Was er tatsächlich schmerzlich vermisst: die Natur und die Wildnis. „Erst in Australien ist mir bewusst geworden, wie viel Druck auf dieser Erde lastet, welche Rolle Biodiversität spielt und wie sehr der Mensch die Natur zerstört“, so Mourik. Damals entschied er sich – neben seiner Arbeit als Physiker – an Monitoring-Studien über Vögel mitzuarbeiten. Schon als Kind hatte Mourik jede freie Minute genutzt, um Vögel zu beobachten, Ornithologe wollte er dennoch nicht werden. „Das wäre mit 18 irgendwie uncool gewesen“, erzählt der vielseitig interessierte Forscher. Also hat er an der Technischen Universität Delft Physik studiert.

„Mich hat schon als Student begeistert, wie unsere makroskopische Welt aus einer mikroskopischen Welt entsteht, die wiederum von der Quantenmechanik beschrieben wird“, schwärmt er. Den damals 19-Jährigen fasziniert der Gegensatz der Quantenphysik zwischen einer Theorie, die das Potenzial besitzt, unsere Technologien und damit unsere Gesellschaft zu revolutionieren, und einer für Laien nur schwer zugänglichen Praxis – eine Faszination, die bis heute andauert.

Die bunte Vielfalt eines Quantenphysikers

Herzensangelegenheit Open Science


Wissenschaftliche Transparenz liegt Vincent Mourik am Herzen. Vor diesem Hintergrund engagiert er sich für Open Science und einen umfassenden Datenaustausch. Er befürwortet ein offenes Online-Publishing einschließlich Open-Peer-Review-Verfahren ohne Ablehnungen von Einreichungen. „Publikations-Plattformen sollten gemeinnützig sein, kommerzielle wissenschaftliche Zeitschriften abgeschafft werden“, fordert Mourik. Dabei geht es ihm auch um den Umgang mit Kritik. „Es sollte völlig normal sein, wissenschaftliche Probleme öffentlich zu diskutieren – wenn es zum Beispiel Ungereimtheiten bei einem bereits veröffentlichten Paper gibt“, so der Niederländer. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass jemand, der in einem solchen Fall Kritik übt, in der Community schnell als Whistleblower gilt. „Daher fürchten junge Forschende um ihre Karriere, wenn sie auf mögliche Fehler hinweisen. Das muss sich ändern“, so Mourik.

Die Zeit in Jülich hat der Physiker bisher vor allem genutzt, um sein Labor aufzubauen. Hier möchte Mourik sein Projekt GeBaseQ (Germanium Based Qubits) realisieren, für das er im Jahr 2022 über den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgelobten Nachwuchswettbewerb „Quantum Futur“ 4,8 Millionen Euro eingeworben hat. Seine Motivation: „Ich will mit meiner Gruppe binnen drei bis fünf Jahren Experimente etablieren, die helfen, die Quantenphysik besser zu verstehen und dazu beitragen, Quantencomputer bauen zu können.“

4,8

Millionen Euro
hat Vincent Mourik 2022 für sein Projekt GeBaseQ über den Nachwuchswettbewerb „Quantum Futur“ eingeworben.

Quantencomputer sind gewissermaßen das i-Tüpfelchen der Quantenphysik. Das Problem: Um einen Quantencomputer zu bauen, der für die Praxis relevante Dinge berechnet, müssen Millionen von Recheneinheiten, die Qubits, erzeugt und kontrolliert werden. Bisher gelingt das noch nicht und es ist offen, welche Arten von Qubits sich durchsetzen. Qubits lassen sich etwa mithilfe von Supraleitern, Ionenfallen oder Halbleitern erzeugen.

Eine Lücke schließen

Mourik setzt auf Halbleiter. Dieses meist aus Silizium bestehende Material steckt schon heute in Form von Mikrochips in beinahe jedem Laptop, Smartphone oder Fernseher.

„Wir wollen herausfinden, ob ein spezieller Halbleiter aus einer Silizium-Germanium-Kombination für Quantenbits geeignet ist“, erklärt Mourik. Diese Kombination werde in Deutschland vergleichsweise wenig untersucht. Mourik will diese Lücke schließen.

Dazu taucht er immer wieder tief in seine Quantenkonzepte ein. „Und zwischendurch gehe ich raus in die Natur: Dort sehe, rieche, schmecke und höre ich das Leben; es ist fassbar – und eben nicht abstrakt.“

Text: Katja Lüers | Fotos: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach; Tobias Fischer

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Letzte Änderung: 19.09.2023