Modellieren spart viel Zeit

Viele Jahre verstieß Deutschland gegen die EU-Nitratrichtlinie, es drohten hohe Strafzahlungen. Die sind nun vom Tisch dank der geänderten deutschen Düngeregeln. Ob diese wirken, überprüft ein bundesweites Monitoring. Jülicher Simulationsmodelle sind ein Teil davon.

Jedes Jahr ab Februar rollen wieder die großen Traktoren mit ihren langen Tankanhängern. Damit beginnt gut sicht- und riechbar die Düngesaison mit Gülle. Doch in Deutschland werden Felder oft mehr gedüngt als eigentlich nötig. Das hat Folgen: Überschüssiges Nitrat versickert im Boden und kann das Grundwasser belasten. In etlichen Regionen Deutschlands wird der EU-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter überschritten.

Die EU warf Deutschland jahrelang vor, nicht genug gegen die Nitratbelastung zu tun. Nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 2018 drohten Deutschland sogar Strafen in Milliardenhöhe. Erst im Juni 2023, nachdem Deutschland seine Düngeverordnungen mehrfach überarbeitet hatte, stellte die EU das Vertragsverletzungsverfahren ein.

Ein wesentlicher Teil der neuen Regeln ist ein langfristiges Beobachtungs-, Kontroll- und Analysesystem. Dieses Wirkungsmonitoring erfasst künftig die Stickstoffemissionen der Landwirtschaft und die Nitratkonzentrationen im Grundwasser. Mithilfe deutschlandweiter Modellierungen soll darüber hinaus abgeschätzt werden, wie sich Maßnahmen – etwa weniger Düngen in der Landwirtschaft – auf die Nitratbelastung des Grundwassers und der Oberflächengewässer in Deutschland auswirken.

Das dafür benötigte Modell zur Analyse von Nährstoffströmen erarbeiten derzeit Wissenschaftler:innen in dem Projekt RELAS. Grundlage ist AGRUM-DE, ein seit 2005 bestehender Modellverbund zur Analyse von Nährstoffströmen auf der Ebene von Bundesländern. „Im RELAS-Projekt entwickeln wir AGRUM-DE zu einem bundesweiten Standard für das Wirkungsmonitoring weiter“, sagt Prof. Frank Wendland vom Jülicher Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG-3). Seine Arbeitsgruppe hat zwei Modelle zu dem Verbund beigesteuert: „Mit mGROWA modellieren wir die Gebietsabflüsse und die Eintragspfade für Nitrat, mit DENUZ-WEKU den Nitratumsatz und den Transport in Boden und Grundwasser. Auf diese Weise können wir simulieren, wie viel Nitrat in Gewässer und Grundwasser gelangen“, erklärt Wendland.

Nitratwerte senken: Modellieren spart viel Zeit

*RELAS steht für Abbildung REgionaler LAndwirtschaftlicher Stickstoffflüsse als Basis für die Entwicklung und Optimierung agrarpolitischer Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele. Das Projekt wird von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gefördert.

Räumliche Unterschiede

Frank Wendland auf einem Feld.
Frank Wendland ist Experte für hydrologische Modellierung – berechnet also etwa wo wie viel Nitrat im Boden versickert, wohin es fließt und wie sich das auf das Grundwasser auswirkt. Copyright: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach.

Die Simulationen mit den Jülicher Modellen können die erwartbare Nitratbelastung außerdem räumlich ziemlich genau auflösen. „Das ist wichtig, weil sich Nitratkonzentrationen innerhalb eines einzelnen Grundwasservorkommens von Messstelle zu Messstelle mitunter stark unterscheiden“, erklärt Wendland.

Die Forschenden füttern dazu ihre Modelle nicht nur mit den Daten der mehr als 10.000 in Deutschland fest installierten Grundwassermessstationen, sondern auch mit etlichen Eingangsparametern wie Klimadaten, Landnutzung und Bodenbeschaffenheit. Auch die Ergebnisse eines anderen Modells von AGRUM-DE fließen ein: RAUMIS, das Forscher:innen des Thünen-Instituts in Braunschweig entwickelt haben, berechnet anhand von verschiedenen Parametern wie Düngereinsatz, Nährstoffentzug der Pflanzen und regionalen Standorteigenschaften, wie viel überschüssigen Stickstoff die Landwirtschaft produziert. „Im Verbund von AGRUM-DE simulieren wir gewissermaßen, wie viel Stickstoff im System ist und können daraus Rückschlüsse auf die Nitratkonzentrationen sowie die Nitratmenge ziehen, die mit dem Sickerwasser ins Grundwasser gelangt. Mithilfe der Simulationen können wir dann auch nachvollziehen, ob eine vorgesehene Maßnahme wie gewünscht die Nitratbelastung des Grundwassers reduziert“, verdeutlicht Wendland.

Die Jülicher Modelle liefern aber noch weitere Informationen: Sie können auch identifizieren, wie Nitrat über verschiedene Eintragspfade in Grundwasser und Oberflächengewässer gelangt. Ihre Ergebnisse fließen in ein weiteres Teilmodell von AGRUM-DE ein: das von Forschern am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) entwickelte MONERIS. Es analysiert, wie sich bestimmte Nährstoffe wie etwa Nitrat in Flüssen verteilen und schließlich ins Meer gelangen.

„Unsere Modelle können berechnen, wie viel nitrat­haltigen Dünger Landwirte in einem bestimmten Gebiet einsetzen können, um dort den EU-Grenzwert nicht zu überschreiten.“

FRANK WENDLAND

Wie schädlich ist Nitrat?

Nitrat ist eine Stickstoff-Sauerstoff-Verbindung, die Pflanzen für ihr Wachstum benötigen. Über ihre Wurzeln nehmen sie den Stoff auf und durch Photosynthese wandeln sie ihn in energiereiche Eiweißverbindungen um. Landwirt:innen bringen daher Nitrat mittels Gülle oder Mineraldünger auf ihre Äcker aus, um den Ertrag zu erhöhen. Oftmals landet jedoch deutlich mehr des Stoffs auf den Feldern, als Pflanzen und Böden verarbeiten und speichern können. Der Rest wird dann durch Regen in Oberflächengewässer und ins Grundwasser gespült. In Flüssen, Seen und küstennahen Gebieten der Nord- und Ostsee kann eine hohe Nitratkonzentration das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme stören, etwa indem es das Wachstum von Algen fördert. Infolgedessen stirbt die natürliche Pflanzenwelt – das Gewässer „kippt um“. Zu viel Nitrat im Grundwasser kann außerdem die Qualität des daraus gewonnenen Trinkwassers beeinträchtigen. Laut Umweltbundesamt ist die Trinkwasserqualität allerdings gut überwacht und durchweg gut bis sehr gut. Für den Menschen ist Nitrat ohnehin eigentlich unbedenklich. Allerdings kann es im Körper mitunter zu Nitrit umgewandelt werden, das besonders für Säuglinge in zu hohen Mengen schädlich ist.

Zielgerichtete Maßnahmen

„So ist AGRUM-DE in der Lage, die Ursache für erhöhte Nitratwerte in Gewässern zu identifizieren, inklusive in Küstengebieten“, sagt Wendland. Das kann der übermäßige Düngeeinsatz sein, aber etwa auch das Abwasser von Kläranlagen oder Industrieanlagen. „Auf Basis dieses Wissens können wir Ansatzpunkte für zusätzliche zielgerichtete Maßnahmen identifizieren – zum Beispiel, wie viel nitrathaltigen Dünger Landwirte in einem bestimmten Gebiet einsetzen können, ohne dort den EU-Grenzwert zu überschreiten“, so der Jülicher Forscher.

„Mit dem AGRUM-DE-Simulationswerkzeug werden wir zukünftig konsistent und hochaufgelöst vorhersagen können, wie sich die novellierte Düngeverordnung auf die Nitratbelastung von Grundwasser und Gewässern auswirkt – Jahre, bevor sich die Auswirkungen messen lassen“, sagt Wendland. Dadurch wird es möglich, nicht ausreichende Maßnahmen wesentlich früher nachzujustieren. Ende 2025 sollen erste bundesweite Modellierungen vorliegen. „Dieses Konzept des Wirkungsmonitorings hat auch dazu beigetragen, dass die EU-Kommission das Verfahren gegen Deutschland eingestellt hat. Die Einstellung des Verfahrens ist aber nur ein Meilenstein, es ist noch ein weiter Weg bis wir die Ziele zum Schutz der Wasserressourcen tatsächlich erreicht haben werden“, sagt Wendland.

Text: Janosch Deeg

In einer früheren Fassung des Beitrags hieß es, dass Deutschland empfindliche Strafzahlungen an die EU drohen. Anfang Juni 2023 hat die EU-Kommission laut Bundesumweltministerium das Vertragsverletzungsverfahren eingestellt, das gegen Deutschland wegen Nicht-Einhaltung der EU-Nitratrichtlinie lief. Damit drohen Deutschland hier keine Strafzahlungen mehr. Wir haben den Text online sowie das pdf der effzett 1-23 entsprechend aktualisiert. Das Printmagazin befand sich bereits im Druck, daher steht dort noch die alte Fassung.

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Letzte Änderung: 19.09.2023