Die Reise der Schadstoffe

Stickoxide und andere Schadstoffe, die durch den Verkehr oder Kraftwerke in die Luft geblasen werden, machen krank und haben einen großen Einfluss auf unser Klima. Deshalb wird bundesweit versucht, ihre Gesamtmenge genauer zu bestimmen. Doch diese Schätzungen sind schwierig. Mit einem aufwändigen Computermodell helfen Experten vom Forschungszentrum Jülich den Behörden, die Schadstoffbelastung besser erfassen zu können.

REKLIM / Melanie Wolter

Beim Thema Luftverschmutzung kennt man in Deutschland aktuell fast nur noch ein Thema - den Dieselskandal und die Stickoxide, welche unter anderem von Dieselfahrzeugen in die Luft geblasen werden. Man streitet darum, ob Messstationen am richtigen Ort stehen und ob sie plausible Werte liefern. Letztlich geht es jedoch um die Frage, was man tun kann, um die Luft in den Städten sauberer zu machen. Denn Luftschadstoffe und Feinstäube können nicht nur krank machen. Sie beeinflussen auch das Klima, insbesondere Aerosole, weil sie abhängig von ihren optischen Eigenschaften die Lufttemperatur deutlich beeinflussen können.

Natürlich wäre die Luftverschmutzung geringer, wenn weniger Autos unterwegs wären. Doch soll man dafür Straßen sperren und falls ja, welche? Und helfen solche Maßnahmen wirklich? Diese Frage erscheint zunächst trivial zu sein. Doch eine einfache Antwort gibt es nicht, denn Stickoxide und auch viele andere Luftschadstoffe wirken nicht immer direkt dort, wo sie entstehen. Der Wind kann sie viele Kilometer weit verfrachten. Während ihrer Reise können sie sich chemisch verändern und neue Verbindungen eingehen, die ihrerseits problematisch sind.

Im dicht besiedelten Ruhrgebiet kann beispielweise die Abluftfahne einer Stadt die Stickoxid-Werte in der Nachbargemeinde in die Höhe treiben. Und wenn in strengen Wintern der Wind aus Ost weht, steigen in manchen Teilen Deutschlands die Stickoxidwerte oder die Feinstaubkonzentrationen, weil in Osteuropa viele Haushalte noch mit Kohle heizen. Wer also an einem Standort erhöhte Schadstoffwerte misst, muss zunächst einmal feststellen, woher die Schadstoffe stammen, ehe er gezielte Maßnahmen zur Luftreinhaltung ergreifen kann.

Mühevolle Datensammlung

Ein Problem ist, dass nur wenige emittierte Schadstoffe direkt gemessen werden. Messstationen gibt es vor allem in Großstädten und Ballungszentren – und selbst dort nur an wenigen ausgewählten Punkten. Insofern weiß eigentlich niemand genau, wie schmutzig die Luft in ganz Deutschland tatsächlich ist und inwieweit die Schadstoffe das Klima vor Ort beeinflussen. Die Behörden sind daher auf Abschätzungen angewiesen. In mühevoller Detailarbeit tragen sie Daten über alle denkbaren Schadstoffquellen zusammen: die Zahl der registrierten Autos und die Leistung ihrer Motoren; die Menge an Fahrzeugen, die über bestimmte Autobahnabschnitte rollen; die Zahl der Haushalte, die mit Gas, Öl oder Strom heizen; den Schadstoffausstoß einzelner Industriebetriebe oder die Zahl der Kraftwerke und ihrer Betriebsstunden. Alle Daten werden zusammengefasst, um daraus den jährlichen Schadstoffausstoß, die Emissionen, für einzelne Städte, Landkreise, Bundesländer oder ganz Deutschland zu berechnen. Veröffentlicht werden die geschätzten Mengen von den Landesumweltämtern in Form von Tabellen und Landkarten, den sogenannten „Emissionskatastern“. Mithilfe dieser Kataster wird dann abgeschätzt, wie hoch die Schadstoffbelastung der Luft in verschiedenen Regionen ist; und was man dagegen tun kann.

REKLIM / Melanie Wolter

Manchmal knapp daneben

Doch obwohl diese professionellen Schätzungen auf einer Fülle von Daten beruhen, stimmen sie nicht immer mit der Realität überein. Regelmäßig liefern Messstationen andere Schadstoffwerte, als die Emissionskataster erwarten lassen. „Das bedeutet, dass bestimmte Daten oder Annahmen, die den Schätzungen zugrunde liegen, nicht der Realität entsprechen“, sagt Dr. Hendrik Elbern vom Forschungszentrum Jülich (FZJ). Der Meteorologe ist Spezialist für numerische Modellierung und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Inkonsistenzen und ihre Ursachen im System zu finden, damit die Behörden die tatsächliche Schadstoffbelastung der Luft künftig besser abschätzen können. Dafür hat Hendrik Elbern gemeinsam mit der Doktorandin Annika Vogel und seinen Mitarbeitern Dr. Anne Caroline Lange und Dr. Philipp Franke vom Rheinischen Institut für Umweltforschung der Universität Köln und dem Institut für Energie- und Klimaforschung am FZJ ein komplexes Computermodell entwickelt. Es ist darauf spezialisiert, an das Problem von einer anderen Seite heranzugehen: Es verwendet die an den Stationen gemessenen Werte, vergleicht diese mit den Ursprungsdaten des Katasters und sucht nach möglichen Fehlerquellen und Abweichungen. Es variiert Modellparameter, insbesondere die dem Kataster zugrunde liegenden Daten so, dass das Kataster am Ende die tatsächlichen Messwerte gut repräsentiert. Aus den Geowissenschaften war ein solcher Ansatz bereits bekannt, aber für die Luftchemie wurde eine solche Modellierung früher für undurchführbar gehalten. Der Grund: Es müssen mehr als 100 verschiedene chemische Verbindungen und Feinstaubtypen berücksichtigt werden. Dennoch begann Hendrik Elbern mit der Entwicklung seines Modellierungswerkzeugs, das den Namen EURAD-IM trägt: ein mächtiges Tool, das voller Wissen steckt.

VORAUSGEDACHT

„Unser Ziel ist es, den Kreislauf aller Luftschadstoffe in unserem Modell abzubilden und dabei Emissionsquellen zu ermitteln, sodass geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können: sowohl durch kurzfristige Verkehrsleitung und Kraftwerkssteuerung als auch durch eine langfristige Stadt- und Raumplanung.“

HENDRIK ELBERN
Meteorologe am Forschungszentrum Jülich

Komplexe Chemie berücksichtigen

REKLIM / Melanie Wolter

Ein zentrales Element von EURAD-IM ist das sogenannte Chemietransport-Modell, ein Softwarebaustein, der das Wissen über aljene chemischen Reaktionen enthält, die rund um die Schadstoffe in der Atmosphäre ablaufen können. „Es gibt Hunderte verschiedener Reaktionen, die dazu führen, dass sich Luftschadstoffe verändern oder neu bilden“, sagt Hendrik Elbern. Wie komplex dieses Zusammenspiel ist, zeigt das Beispiel der chemischen Reaktionen, die zwischen Stickoxiden und Ozon ablaufen. Ozon bildet sich vor allem an wolkenlosen Sommertagen aus Stickoxiden zusammen mit Kohlenwasserstoffen, die zum Teil auch von Pflanzen abgegeben werden. Ozon wird also nicht direkt als Emission frei, sondern entsteht als Folge einer Kette chemischer Reaktionen, die durch UV-Licht ausgelöst werden. Insbesondere Ozon und Stickstoffmonoxid wiederum reagieren in der Luft miteinander. Dadurch kann zum Beispiel die Konzentration des im Zuge des Dieselskandals viel diskutierten Stickstoffdioxids, NO2, beeinflusst werden. Das heißt, eine NO2-Konzentration, die man misst, kann von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst sein. „Alle diese Zusammenhänge kann unser Chemietransport-Modell berücksichtigen“, erklärt Hendrik Elbern. Und natürlich gehen in das Computermodell auch meteorologische Daten ein – die Richtung des Windes, die Luftfeuchtigkeit oder der Niederschlag, der Schadstoffe auswäscht. Die Methode, die Hendrik Elbern und sein Team anwenden, um Diskrepanzen zwischen Emissionskatastern und gemessenen Werten aufzuklären, bezeichnen Experten als inverse Modellierung, also als Umkehrung. Denn vom Messwert schließt Hendrik Elbern ja auf die Fehler in der Datengrundlage des Katasters. „Unsere Forschung besteht letztlich darin, die Datengrundlage so zu verbessern, dass die Kataster die Emissionen möglichst genau repräsentieren“, führt Hendrik Elbern aus.

Unterstützung für das Umweltbundesamt

Der Wissenschaftler arbeitet seit vielen Jahren mit dem Landesumweltamt in Nordrhein- Westfalen zusammen, um das Emissionskataster zu optimieren. In einem neuen Projekt kooperiert er mit dem Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-Roßlau. Das UBA hat in den vergangenen Jahren das Emissions- Rechenmodell GRETA entwickelt. Es kann für ganz Deutschland errechnen, wie hoch die Emissionen und Schadstoffbelastungen sind. Zudem kann GRETA in die Zukunft blicken und simulieren, durch welche Maßnahmen sich künftig die Luftverschmutzung an bestimmten Orten verringern ließe. Doch auch GRETA kann Hendrik Elberns Hilfe gut gebrauchen. „GRETA arbeitet sehr genau, aber eben nicht immer“, sagt Ute Dauert, Expertin am UBA für die Beurteilung der Luftqualität. „Mit der inversen Modellierung kann Herr Elbern sehr gut die von GRETA generierten Daten mit Messwerten vergleichen und uns sagen, wo etwas nicht stimmt.“ Hendrik Elbern arbeitet von Anfang an im REKLIM-Verbund mit, denn Luftqualität und regionales Klima gehören für ihn untrennbar zusammen. Zum Beispiel über die Aerosole: Diese in der Luft schwebenden Verbindungen werden teils direkt emittiert, können sich aber auch aus Luftschadstoffen bilden. Sie können mit der Sonnenstrahlung wechselwirken und einen wärmenden oder kühlenden Effekt haben. Andersherum beeinflusst auch das Klima durch Niederschläge oder charakteristische Luftströmungen die Menge der Luftschadstoffe in einer Region. Deshalb steht für Hendrik Elbern eines fest: Die Luftqualität ist definitiv ein REKLIMThema.

Text: Tim Schröder

KOMPAKT

  • Wie viele Schadstoffe in Deutschland in die Atmosphäre freigesetzt werden, wird anhand großer Datensätze abgeschätzt und in Form sogenannter Emissionskataster veröffentlicht.
  • Manchmal stimmen die geschätzten Schadstoffmengen der Emissionskataster nicht mit den tatsächlich gemessenen Werten überein, weil letztere durch Transport und chemische Umwandlungen vor Ort beeinflusst werden. Mithilfe mathematischer Modelle versucht man auch, Messwerte und Emissionskataster in Einklang zu bringen.
  • Da nicht an jedem Ort die Schadstoffbelastung gemessen werden kann, wird man auch weiterhin auf zuverlässige Abschätzungen angewiesen sein, um die Schadstoffbelastung bundesweit flächendeckend zu bestimmen.

Mehr Informationen:

Institut für Energie- und Klimaforschung - Troposphäre (IEK-8)

Mit freundlicher Genehmigung des Helmholtz-Verbunds REKLIM

Letzte Änderung: 18.05.2022