Voller Energie: Martin Winter

Batterien bewegen uns und unsere Welt – sie starten unser Auto, lassen die Zeiger unserer Uhren laufen und sorgen dafür, dass wir überall Bilder mit unseren Smartphones machen können. Auch im Leben von Prof. Martin Winter spielen die Energiespeicher seit nahezu 30 Jahren eine zentrale Rolle. Der vielfach ausgezeichnete Batterieforscher vom Helmholtz-Institut Münster, einer Außenstelle des Forschungszentrums, hält den diesjährigen Jülicher Festvortrag. Wir haben mit ihm gesprochen.

Vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler: Prof. Martin Winter
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Die Liste Ihrer Auszeichnungen ist lang: Im vergangenen Jahr erhielten Sie das Bundesverdienstkreuz, im August 2019 die Faraday Medaille der Royal Society of Chemistry und im September den Arfvedson-Schlenk-Preis der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Was bedeuten Ihnen Preise?

Preise tragen zur Verbesserung der Sichtbarkeit der deutschen Batterieforschung bei, im Land und international. Aber das Bundesverdienstkreuz war schon etwas Besonderes, weil es mir ja für meinen Einsatz für den Aufbau der Batterieforschung hierzulande verliehen worden ist. Die Faraday Medaille erfreut mich besonders, da sie zu Zeiten der Brexit-Diskussion die ungebrochene Verbundenheit der Wissenschaftler untereinander herausstreicht. Und der Arfvedson-Schlenk-Preis ist eben der Lithium-Chemie-Preis – der ist mir persönlich wichtig, da ich mich mein ganzes Forscherleben schon mit Lithium- und Lithium-Ionen-Batterien beschäftige.

Was macht Sie – neben Hartnäckigkeit und Leidenschaft – so erfolgreich?

Man sagt über mich, dass ich authentisch geblieben sei. Ich promote keine Themen, die ich nicht für wichtig erachte und ich springe nicht auf jeden neuen Themenzug.

Sie sind Wissenschaftler – Fakten spielen eine entscheidende Rolle in Ihrem Beruf. Welche Rolle übernimmt Ihr Bauchgefühl?

Eine ganz wichtige! Es gibt Situationen, in denen ich alle Fakten zusammengetragen habe, aber doch nicht weiterkomme, da ist mein Bauchgefühl entscheidend. In 90 Prozent der Fälle habe ich richtig gelegen, über die übrigen zehn Prozent ärgere ich mich heute noch!

An Ihrer Garderobe hängt der weiße Schutzkittel. Forschen Sie noch im Labor?

Ich gehe ins Labor und überrasche meine Mitarbeiter mit meiner Anwesenheit. Oder ich schimpfe, wenn nicht aufgeräumt ist. Sichtbarkeit hilft, um zu motivieren! (lacht) Aber seit über 20 Jahren stehe ich nicht mehr aktiv im Labor – das ist auch besser so, ich würde, weil ich aus der Übung bin, wahrscheinlich nur Blödsinn machen. Was jedoch die großen Forschungslinien betrifft, da stecke ich nicht nur mitten drin, sondern ich bestimme sie maßgeblich mit.

Forschen Sie ausschließlich an der Lithium-Ionen-Batterie (LIB)?

Neben der Lithium-Ionen-Batterie forschen wir an Lithium-Metall-Batterien mit und ohne Feststoff und an weiteren, alternativen Batteriesystemen. Vor allem die Feststoffbatterie hat auf der Ebene der Elektrolyte in den vergangenen Jahren sehr große Fortschritte gemacht. Da geht es nun darum, das Ganze systemisch anzugehen: Dazu benötigen wir auch viel Prozesstechnik und Charakterisierungs-Know-how, das ist beides zuhauf in Jülich vorhanden, wo wir mit den Kollegen intensiv zusammenarbeiten. Der Löwenanteil unserer Forschung entfällt allerdings mit 50 Prozent auf die LIB. Dabei profitieren wir von der Kooperation mit den Kollegen in Aachen, die die Teile der Wertschöpfung bearbeiten, die eher ingenieurstechnisches Know-how erfordern.

Viele Kritiker sagen, dass die Lithium-Ionen-Technologie ausgereift sei. Sie hingegen sehen sogar noch Optimierungspotenzial...

...ja, auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich ihr – mit Blick auf die massentaugliche Anwendung im Fahrzeug – eine 5 geben. Da ist mit Blick auf Performance und Reichweite noch Luft nach oben. Zum Vergleich: Verbrennungsmotoren sehe ich auf der Skala bei 8. Auch hier sehe ich noch Optimierungspotenzial: zum Beispiel eine verbesserte Abgastechnik und weniger Verbrauch.
Die Verleihung des Chemie-Nobelpreises an John Goodenough, Stanley Wittingham und Akira Yoshino für die Entwicklung der Lithium-Ionen-Batterie wird dieser Technologie einen weiteren Schub verleihen, da bin ich mir sicher. Gerade, wo wir diese Technologie in Deutschland groß umsetzen wollen – sowohl in der Automobilität als auch in der Energiewende. Und wenn wir die Lithium-Ionen-Batterie noch besser verstehen, hilft es uns, andere Batteriesysteme zu entwickeln – das ist wie das kleine Einmaleins in der Mathematik. Wir besitzen für die Lithium-Ionen-Batterie extrem viele Daten und wir wissen sehr gut über die Lebensdauer Bescheid. Diese Erkenntnisse helfen uns, die Herausforderungen für andere Systeme zu meistern.

Wie sieht Ihre Batterie der Zukunft aus?

Es wird viele Batterien der Zukunft geben – je nach Anwendung. Eine davon ist mit Sicherheit die Lithium-Ionen-Batterie. Wie groß sie sein wird und wer die Partner sind, beispielsweise Wasserstoff und Brennstoffzelle, das ist noch komplett offen. Mich stört diese „Entweder-oder“-Diskussion.

Wünschen Sie sich mehr Offenheit in der Diskussion um die Batterie der Zukunft?

Definitiv ja. Für mich ist es eine Lebenseinstellung, dass jeder Fakt, jede Beobachtung von unterschiedlichen Seiten, Kompetenzen und Disziplinen betrachtet wird. Ein schönes Beispiel sind für mich jene drei Wissenschaftler, die man als Ur-Väter der Batterieforschung bezeichnen kann: Luigi Galvani, Alessandro Volta und Johann-Wilhelm Ritter. Der italienische Arzt Galvani hat die zuckenden Froschschenkel gesehen und es animalische Elektrizität genannt. Der Physiker Volta hat darin Ladungstrennung gesehen – wie beim Kondensator. Und der deutsche Ritter sprach von Chemie, eben dem, was in einer Batteriezelle auch wirklich stattfindet. Er gilt als Mitbegründer der Elektrochemie. Diese drei Perspektiven zeigen auf, wie wichtig es ist, verschiedene Blickwinkel auf ein Phänomen zu werfen, um den Wissenshorizont weit zu halten.

Warum gibt es so unterschiedliche Aussagen über die Leistungsfähigkeit von verschiedenen Batteriesystemen?

Viele kennen den Unterschied zwischen theoretischer und praktischer Energiedichte nicht – das ist ein großes Problem. Bei der theoretischen Energiedichte schaut sich der Wissenschaftler nur die Zellreaktion an, also die Reaktionsgleichung und die Spannung bei standardisierten Bedingungen – ohne Gehäuse, notwendige Hilfsmaterialien, und unter der meist unrichtigen Annahme, dass die Reaktion hundertprozentig stattfindet. Die theoretische Energiedichte einer Lithium-Ionen-Batterie ist mit ca. 600 Wattstunden pro Kilogramm sehr klein, aber von dem Wert können wir immerhin fast 50 Prozent praktisch realisieren. Zum Vergleich: Die theoretische Energiedichte von Lithium/Schwefel-Batterien fällt mit fast 2700 Wattstunden pro Kilogramm deutlich höher aus, aber davon können wir bisher nur etwa 10 bis 15 Prozent praktisch umsetzen. Die Lithium-Ionen-Batterie schneidet also in der Praxis sehr gut ab. Das heißt aber nicht, dass wir andere Batteriesysteme nicht untersuchen und verbessern sollten. Wir dürfen nur nicht sagen, dass sie besser sind, solange das nur durch die Theorie und damit verbundenes Wunschdenken begründet ist. Und was mich besonders stört: Ich lese immer wieder Presseberichte, in denen die praktische Energiedichte von Lithium-Ionen-Batterien mit der theoretisch möglichen von anderen Systemen verglichen wird. Das ist unseriös.

Wie stehen Sie zu Wasserstoff?

Die Brennstoffzelle ist eine wunderbare Technologie, wissenschaftlich hoch anspruchsvoll, aber sie ist praktisch noch nicht so ausgereift. Ich kann mir gut ein Hybrid-Auto mit Lithium-Ionen-Batterie vorstellen, welches auch mit einer Brennstoffzelle statt mit einem Verbrennungsmotor läuft. Aber in Deutschland wird der Verbrennungsmotor noch lange im Einsatz bleiben, weil unsere Industrie nicht so schnell umstellen kann und will.

Warum tut sich Deutschland mit Umstellungen so schwer?

Neben einer außergewöhnlichen Treue zu alten Technologien und einer ausgeprägten Skepsis gegenüber Neuem ist ein Grund sicherlich: Wir haben so viele politische, gesetzliche und administrative Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, dass wir gar nicht mehr zum Schreiten kommen, sondern uns nur in Trippelschritten vorwärts bewegen können. Das gilt nicht nur für die Batterieforschung, sondern für alle Bereiche. Es frustriert mich, dass wir Jahre für Sachen brauchen, für die wir eigentlich nur Monate benötigen würden. Bedenklich ist, dass dies viele wissen, aber die Situation eigentlich immer schlechter wird.

...Deutschland könnte also mehr leisten?

Ein klares Ja. Dass in China oder in Nordamerika Entwicklungen viel schneller vorangehen, liegt auch daran, dass wir in Deutschland ein Mindset haben, das auf vorsichtiges Handeln ausgerichtet ist, dass wir oft lange abwägen und Entscheidungen aufschieben. Es werden darüber hinaus auch Sachen von vornherein abgelehnt, weil die Menschen Angst haben, es könnte falsch sein!

Haben Sie schon damit geliebäugelt, in die freie Wirtschaft zu wechseln?

Ja, durchaus. Und lukrative Angebote bekomme ich immer wieder. Aber: Ich müsste hier alles im Stich lassen, auch die Menschen, die kommen, weil sie mit mir arbeiten wollen! Und ganz ehrlich: Was wäre ich ohne meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Ich habe zu meinen Kolleginnen und Kollegen ein partnerschaftliches Verhältnis. Ich duze mich mit Ihnen, ich bin nahbar. Das gebe ich nicht so einfach auf!

Sie sind 54 Jahre und haben viele Preise gewonnen. Was kommt da noch?

Ich hoffe sehr, dass wir es mit den Kolleginnen und Kollegen in Deutschland schaffen werden, eine nationale Batteriezellfertigung aufzubauen, die größenordnungsmäßig in jedem Tortendiagramm für Batteriezellfertigung auftaucht und nicht unter „Andere“ verschwindet. Und am Ende meiner Karriere sollen die Menschen über uns sagen können: Die Batterieforschung hat allgemein von unserem Engagement profitiert – bezüglich dessen, dass wir jetzt eine nationale Community haben und dass wir viel für die Gesellschaft getan haben – um auch die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit im Land zu halten und zu stärken. Das ist einer der größten Wünsche, die ich habe.

Das Interview führte Katja Lüers

Zur Person:

Martin Winter, Jahrgang 1965, wurde im niedersächsischen Osnabrück geboren. Er ist der Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Münster (HI MS), einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich. Das HI MS umfasst drei Partner: Neben dem Forschungszentrum Jülich sind das die RWTH Aachen und die Westfälische Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Der wissenschaftliche Leiter des 2009 gegründeten „MEET“- Batterieforschungszentrums der WWU lehrt Physikalische Chemie. Er arbeitet und forscht seit fast 30 Jahren im Bereich der elektrochemischen Energiespeicherung und Energiewandlung. Sein Fokus liegt auf der Entwicklung neuer Materialien, Komponenten und Zelldesigns für Lithium-Ionen-, Lithium-Metall-Batterien und alternativen Batteriesystemen. Mehr als 150 Forschungsprojekte allein in den vergangenen zehn Jahren, 600 Artikel in Fachzeitschriften, Büchern und Tagungsbänden und etwa 70 Patente erzählen.

Dieses Interview erschien auch als effzett-Sonderdruck zum "Jülicher Festvortrag zum Jahresabschluss 2019"

Helmholtz-Institute Münster: Ionics in Energy Storage (IEK-12)

Letzte Änderung: 17.03.2023