Rein in die Welt!
Wissenstransfer ist in aller Munde. Auch in Jülich ist er ein wichtiger Baustein, um Wissen aus den Laboren in die Gesellschaft zu tragen und dort nutzbar zu machen. Der Austauschprozess hilft dabei, große gesellschaftliche Fragen zu beantworten. Zugleich sind damit neue Herausforderungen verbunden.
Der Wissenschaftler, der einsam in seinem Elfenbeinturm sitzt und an Problemen tüftelt? Diese einstige Vorstellung von Forschungsarbeit hat mit der Realität des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu tun. Globale Herausforderungen wie Klimawandel, Energiewende, Datensicherheit und Volkskrankheiten lassen sich nicht im stillen Kämmerlein bewältigen. Um Durchbrüche zu erzielen, wird der Austausch mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft immer wichtiger. Zugleich verlangen Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik zunehmend nach Antworten. Sie brauchen die Wissenschaft, um globale Entwicklungen besser verstehen, Fakten reflektiert einordnen, informierte Entscheidungen treffen und schließlich Innovationen vorantreiben zu können. Der Transfer von Wissen in die breite Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus wissenschaftspolitischer Aufmerksamkeit gerückt. Auch in Jülich spielt er eine große Rolle. Viele Forscher hier betreiben aktiv Wissenstransfer – etwa mit Beratungs-, Weiterbildungs- und Dialogformaten.
Sauberes Trinkwasser in Krisengebieten
„Sauberes Wasser ist in vielen Entwicklungsländern und Krisen- und Katastrophengebieten knapp. Verunreinigtes Trinkwasser stellt da eine große Gefahr dar, weil es zu tödlichen Erkrankungen führen und Epidemien wie beispielsweise Cholera auslösen kann. Mit AquaNANO haben wir gemeinsam mit Partnern ein mobiles Schnelltestverfahren entwickelt. Damit kann man über Nano-Sonden und ein in Jülich entwickeltes magnetisches Messgerät binnen einer Stunde Verunreinigungen im Trinkwasser nachweisen. Bislang brauchte man dafür bis zu 48 Stunden – viel zu lange für eine Katastrophenlage wie eine Überschwemmung, wenn es darum geht, der Bevölkerung möglichst schnell wieder sauberes Wasser zur Verfügung zu stellen! Für das Projekt haben wir neben dem Fraunhofer IME eng mit dem Technischen Hilfswerk (THW) und dem Spezialgerätehersteller DITABIS AG zusammengearbeitet – und schnell gemerkt, dass die teils sehr unterschiedlichen Partner ebenso ‚unterschiedliche Sprachen‘ sprechen. Damit es gar nicht erst zu Kommunikationsproblemen kommt, haben wir uns zu Projektbeginn genügend Zeit genommen, um uns gegenseitig zu erklären, was wir uns vorstellen und wie wir arbeiten. Anfangs war auch noch ein lokaler Wasserversorger mit dabei. Es hat sich jedoch rasch gezeigt, dass es für die konventionelle Wasseranalytik in Ländern wie Deutschland gar nicht so entscheidend ist, wie kurz ein Test dauert – denn hier werden ohnehin kontinuierlich Proben genommen. Auch solche Erkenntnisse gehören zu einem gelungenen Wissenstransfer. Dreimal war ich bei Katastrophen-Übungen dabei und habe dort erst richtig begriffen, unter welchen Ausnahmebedingungen ein mobiles Trinkwasserlabor funktionieren muss. Zugleich kann aus Wissenstransfer hier erfolgreicher Technologietransfer werden: Das THW hat ein Folgeprojekt beantragt, in dem wir unser Analysesystem noch robuster und schneller machen wollen, sodass es bald bei Katastropheneinsätzen eingesetzt werden kann – für uns ein tolles Gefühl!“
Prof. Hans-Joachim Krause, ICS-8
Keine Einbahnstraße
Wissenstransfer ist aber keine Einbahnstraße, in der Wissenschaftler nur Fakten liefern, damit andere daraus lernen können. Vielmehr sollen auch die Forscher dazulernen. Dafür tauschen sie sich gezielt mit Politik, Verwaltungen, Wirtschaft sowie Menschen aus Zivilgesellschaft, Bildung und Medien aus. Aus so einem Dialog entstehen neue Fragestellungen und Perspektiven, die wieder in den Erkenntnisprozess der Forschung einfließen. Wichtig: Damit Wissenstransfer gelingt, müssen Wissenschaftler ihr Wissen so übersetzen, dass die jeweilige Zielgruppe es verstehen und nutzen kann. Ein Politiker beispielsweise benötigt für ein Gutachten zur Energiewende andere Fakten in einer anderen Sprache als ein interessierter Bürger oder ein Studierender.
Am Forschungszentrum wird Wissenstransfer auf zahlreichen Wegen betrieben. Ob Beratung von Politik und Gesellschaft, Informationsdienste für Experten oder für die breite Öffentlichkeit, ob Internetplattformen, runde Tische, gesellschaftliche Diskurse oder die Weiterbildung von Lehrern und Schülern – Jülichs Wissenstransferformate und -aktivitäten sind so breit und vielfältig wie die Gesellschaft selber. Auch Citizen-Science-Projekte, in denen Bürger Impulse geben, um Forschungsthemen mit weiterzuentwickeln, sind im Kommen. Bürger benutzen dabei oft Smartphones, Kameras, Sensoren und Apps, um Daten zu sammeln, mit denen Wissenschaftler ihre Thesen überprüfen. Ziel ist es auch hier, das Wissen beider Seiten zusammenwachsen zu lassen.
Wie erfolgreich Wissenstransfer am Ende ist, lässt sich allerdings nicht einfach in reinen Kennzahlen ausdrücken. Trotzdem gibt es in Jülich bereits viele Beispiele für Wissenstransfer, der fraglos gelingt: Forschende engagieren sich neben ihrer Arbeit etwa in gesellschaftlichen Gremien, Fachgesellschaften und Verbänden. Zudem gibt es Einrichtungen auf dem Campus, die institutionalisierte Wissenstransfer-Formen etabliert haben, beispielsweise das Schülerlabor JuLab.
Sicherheit in Menschenmassen
„Das Unglück bei der Loveparade 2010 war für ganz Deutschland ein großer Schock, der verdeutlichte: Trotz langfristiger Planung kann es zu lebensgefährlichen Situationen kommen, wenn Besucherströme nicht zuverlässig vorhersagbar sind. In unserem Wissenstransfer-Projekt wollen wir ein wissenschaftlich validiertes Open-Source-Werkzeug entwickeln, das Fußgänger- mit Straßenverkehrssimulationen verbindet, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dieses Tool geben wir dann Genehmigungsbehörden und Planungsbüros an die Hand, damit diese die Dynamik von Verkehrsströmen bei Großveranstaltungen bereits in der Planung besser berechnen können. Zugleich schulen wir die Mitarbeiter darin, die Tools richtig zu bedienen und die Simulationen korrekt zu interpretieren – denn auch hier liegt eine Fehlerquelle. Dies soll den Planern ermöglichen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwenden – und Großveranstaltungen so sicherer zu machen. Gelingt dies, ist der Wissenstransfer gelungen. Mir persönlich liegt das Projekt aber auch deshalb am Herzen, weil es dazu beiträgt, Menschen dafür zu sensibilisieren, dass der Fußverkehr zu einem lebenswerten Leben in Städten gehört – und dass künft ige moderne Stadtplanung Fußgänger stärker berücksichtigen sollte.“
Prof. Armin Seyfried, IAS-7
Herausforderung im Forscheralltag
Obwohl die Bedeutung von Wissenstransfer wächst, spielt er bislang dennoch eine eher untergeordnete Rolle in der deutschen Forschungslandschaft. Will ein Wissenschaftler sein Wissen in die Gesellschafttragen, kommt dieses Engagement oft schlichtweg zum normalen Arbeitspensum hinzu. Das kostet Kraft und Zeit – und kann auch in Konkurrenz zur eigenen Karriere treten. Die Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) will künftig jedoch bei der Weiterentwicklung der programmorientierten Förderung (PoF) verstärkt darauf achten, dass Wissenstransfer einen größeren Stellenwert in den Anträgen einnimmt. Zudem schreibt die HGF regelmäßig Fördergelder für Wissenstransfer- und Citizen-Science-Projekte aus.
Auf Augenhöhe
„Wir haben gemeinsam mit dem JSC einen Stickoxid-Rechner entwickelt, mit dem jeder Bürger nachrechnen kann, wie hoch die Stickoxid-Konzentrationen an einer Messstation seines Wohnortes sind. Gleichzeitig kann man dort sehen, wie stark der Verkehr dort reduziert werden muss, um den EU-Grenzwert einzuhalten. Mit diesem ganz einfach nutzbaren Web-Tool ist es gelungen, viele Laien zu erreichen und ihnen komplizierte Sachverhalte anschaulich darzustellen. Für mich besonders spannend war aber die Zeit, kurz bevor der Stickoxid-Rechner online ging. Da wurden mögliche Fahrverbote öffentlich besonders emotional diskutiert, und ich konnte in Pressemitteilungen und vielen persönlichen Gesprächen mit Bürgern mit meinem Wissen dazu beitragen, die Debatte zu versachlichen. Plötzlich verstanden die Menschen, worum es ging. Da war aus ihrer Sicht dann ein unabhängiger Forscher, der ihnen auf Augenhöhe die Zusammenhänge erklären konnte. Sie haben mich angerufen oder mir geschrieben und kluge Fragen gestellt, die ich alle beantwortet habe. Auch Fernsehsender und Zeitungen baten mich regelmäßig um Interviews und Statements. Ich forsche seit über 25 Jahren zu dem Thema, aber einen solchen Austausch mit der Gesellschaft habe ich noch nie zuvor erlebt! Nur: Dieser Austausch hat viel Zeit gekostet, die an anderer Stelle fehlte. In der wissenschaftlichen Community spielt öffentliche Resonanz zudem meist keine Rolle. Da zählen vor allem Veröff entlichungen in hochkarätigen Fachjournalen. Ich wünsche mir, dass sich an dieser Kultur etwas ändert, um dem Wissenstransfer weiter den Weg zu ebnen. Denn dieses Gefühl, dass meine Forschung konkret der Gesellschaft geholfen hat, war einmalig schön!“
Franz Rohrer, IEK-8
Hier geht's zum Stickoxid-Rechner [EXTERNER LINK FUNKTIONIERT NICHT]
Gerade in Sachen Kommunikation fällt Forschern der Austausch mit der Öffentlichkeit jedoch nicht immer leicht. Denn sich mit anderen Kollegen auf einem wissenschaftlichen Symposium auszutauschen, ist etwas ganz anderes, als sein Thema einer nichtwissenschaftlichen Zielgruppe näherzubringen, Politiker zu beraten oder gemeinsam mit Bürgern ein Projekt auf den Weg zu bringen. Dadurch entstehen auch Unsicherheiten: Wie etwa soll man reagieren, wenn einen die Zuhörer nicht verstehen oder eigene Äußerungen in den sozialen Medien einen Shitstorm auslösen? Um solche Bedenken frühzeitig abzubauen und Forscher fit für neue Kommunikationsformen zu machen, möchte Jülichs Wissenstransfer-Unit Forschern künftig gezieltes Zielgruppenmanagement in der Kommunikation anbieten und sie zu diesen Themen beraten. Denn eines ist klar: Nur, wenn Jülichs neu gewonnenes Wissen die Gesellschaft erreicht und genutzt wird, kann das Forschungszentrum dabei helfen, die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu lösen und damit die Zukunft zu gestalten.
"Feld-Forschung" für Landwirte
„Der Klimawandel ist ein globales und zugleich regionales Problem, das Landwirte vor große Herausforderungen stellt. Neben dem langfristigen Klimawandel bedrohen insbesondere kurzfristige Wetterphänomene wie starke Trockenheit oder Hitzewellen den Ernteerfolg. Deshalb gehen wir im Projekt ADAPTER in den Dialog mit Landwirten, Landwirtschaft skammern, Pflanzenzüchtern und Landwirtschaftsberatern. Gemeinsam wollen wir herausfinden, was diese Zielgruppen an neuen oder erweiterten Informationen benötigen, damit Pflanzen bestmöglich gedeihen. Beispielsweise geht es darum, welche simulationsgestützten Vorhersageprodukte ein Landwirt zusätzlich braucht, damit er Sortenwahl, Bewirtschaft ung oder Bewässerung optimieren kann. Unsere Terrestrial Systems Modeling Platform (TSMP) liefert bereits stündliche, nahezu parzellenscharfe Vorhersagen darüber, wie feucht Böden sind, wie viel Wasser davon für Pflanzen verfügbar ist oder wie sich der Grundwasserpegel verändert. Mit den Landwirten arbeiten wir nun an einer umfassenden Erweiterung von TSMP im Rahmen eines Citizen-Science-Ansatzes eng zusammen. Sie erhalten dabei von uns Bodenfeuchtesensoren, die auf ihren Feldern ausgebracht werden. Die nahezu in Echtzeit ablaufenden Messungen werden in die Simulationen mit TSMP einbezogen. Sie helfen uns Forschern, besser zu verstehen und vorherzusagen, wie sich das lokale Wetter verändert und welche Folgen das für den Bodenzustand hat. Die Landwirte sind mit großem Engagement dabei, weil auch sie von den aufb ereiteten Vorhersageergebnissen und Beobachtungsdaten profitieren können. Diese stellen wir ihnen künftig ortsbezogen und interaktiv online zur Verfügung und lernen zugleich vom Feedback aus der Praxis. Wir wollen, dass möglichst viele Landwirte und andere Akteure die Plattform nutzen: So sollen sie noch bessere Entscheidungen für ihren Betrieb treffen können und noch mehr Verständnis für Wetter und Boden gewinnen. Das ist unser Beitrag zu einer nachhaltigeren, wetter- und klimaresilienteren Landwirtschaft .“
Dr. Klaus Görgen, IBG-3
Katja Lüers / Jülicher Campusmagazin "intern"